Warum die Frauenordination kein Problem löst, aber neue schafft. Ein Kommentar

Gemälde Le Sacerdoce de la Vierge Marie (Detail), Schule von Amiens, 1438, Frankreich.
Anmerkung: Die Jungfrau Maria als Priesterin, das Jesuskind als pontifex maximus am „Bassgeigen“-Zipfel der Mutter? Sie trägt eine Stola und teilt die Kommunion aus? Ein Ministrant hält jedenfalls eine Tiara. Eine schöne Allegorie, die nichts beweisen will.

In letzter Zeit und besonders um den neulich begangenen Weltfrauentag herum haben Internetportale, die sich katholisch nennen, durch Artikel verstärkt den Eindruck erweckt, der Ruf nach der Frauenordination (= FO), also der Diakonen- und Priesterweihe von Frauen, sei in der römisch-katholischen Kirche ein vordringliches Problem – wenn nicht sogar das vordringlichste.

Die Argumente von Schrift und Tradition als die beiden Prinzipien, denen katholische und orthodoxe Theologie gemäß ihrem Selbstverständnis verpflichtet ist und die dem postmodernen Wunsch nach der FO eine deutliche und begründete Absage erteilen, werden von ihren Befürworterinnen und Befürwortern regelmäßig teils ignoriert, teils durch ständiges Widersprechen wegzureden versucht.

Dies ist nun nicht der Ort, die Debatte erneut aufzukochen, zumal die FO keine Fragestellung ist, die die Union von Scranton weiterhin beschäftigt. Dennoch wird der Konflikt auch gelegentlich an uns herangetragen, insofern wir aufgrund unserer orthodoxen Katholizität in Haftung für die römisch-katholische und die orthodoxe Kirche genommen werden.

Die Diskussion über die FO ist hauptsächlich an fünf Aspekten aufgehängt: 1. am exegetischen (die Schrift); 2. am dogmatischen (die Tradition); 3. am feministischen (die Gleichstellung); 4. neuerdings auch am juristischen (die vermeintliche Diskriminierung) und 5. am funktionalen (die Gewährleistung der Sakramentenspendung in Zeiten des Priestermangels). Zwangsläufig überlagern sich einzelne Aspekte.
Während der exegetische Befund zusammen mit dem dogmatischen andernorts kompetent erörtert ist (etwa hier), soll es im Weiteren überwiegend um den funktionalen Aspekt gehen, der analog auch auf die Zölibatsdiskussion angewendet wird: Gäbe es die FO bzw. einen freigestellten Zölibat, dann könnten überall die Sakramente oft genug und ausreichend gespendet werden – so die Behauptung.
Daher sei vorab der Hinweis erlaubt, dass es sich mindestens bei diesem Punkt der Diskussion um eine Sicht von gestern handelt, die in mittlerweile überholten Kirchenträumen vergangener Jahrzehnte hängen geblieben ist. Und wer sich damit noch lange aufhält, verschläft, dass es bald keine Gläubigen mehr gibt, die in ihren Gemeinden aktiv sind und denen Seelsorge dienen könnten.  

Der Blick auf die evangelische Kirche in Deutschland bestätigt dies: Obwohl es dort seit 1958 Pfarrerinnen gibt, mangelt es ihr an beidem — Christenmenschen wie Geistlichen (s. den Artikel vom 3. März 2019 in ideaDer evangelischen Kirche gehen die Pfarrer aus“ — und auch die Pfarrerinnen, darf man korrekterweise ergänzen).

Auch der Alt-Katholischen Kirche in Deutschland (AKD) der Utrechter Union geht es rund zwei Jahrzehnte nach der Weihe von Frauen zu sog. Diakoninnen und Priesterinnen ähnlich.
In seiner Rede am 4. Oktober 2018 über die „großen Herausforderungen“, vor denen die alt-katholische Kirche steht, machte der leitende Bischof während der Synode deutlich, „dass mittlerweile ein Personalmangel bestehe“ und  „diese Situation“ dazu nötige, „sich über das geistliche Amt, über den Beruf [der] Pfarrerin bzw. des Pfarrers Gedanken zu machen“.

Bekanntlich hat auch die römisch-katholische Kirche eine Reihe von Problemen, die immer wieder für „Austrittswellen“ sorgen. Jedes für sich ist geeignet, in Europa und den USA ihre Existenz zu bedrohen, doch sind die Folgen des Priestermangels am ehesten in Zahlen fassbar. 
Die umfassende Aufdeckung von Missbräuchen sexueller aber auch finanzieller Art und der vereinzelten tiefen Verstrickung der Hierarchie in sie kann nur als Dienst an der Wahrheit, die frei macht (vgl. Joh 8,32), begrüßt werden.
Dennoch könnte keines dieser Probleme, zuvorderst der Priestermangel, durch die FO gelöst werden. Im Gegenteil: Es würde die weltweite römische Kirche an den Rand der Kirchenspaltung und voraussichtlich darüber hinaus treiben, da die ständige Diskussion über die FO außerhalb gewisser Gegenden Nordamerikas und Europas überwiegend als Luxus- und Scheinproblem degenerierter Teilkirchen betrachtet wird.
Für die Zukunft der Kirchen bietet die FO jedenfalls keine Lösung. Sie kann auch — der Blick auf die evangelische Kirche wie auf die alt-katholische Kirche der Utrechter Union zeigt es — kein Mittel sein, um nachhaltig den Mangel an katholischen Priestern zu beseitigen.

Denn wie die Zukunft in Deutschland und Europa wahrscheinlich aussieht, mit der sich Theologen beiderlei Geschlechts besser beschäftigen sollten, statt sich in rückwärtsgewandte Diskussionen zu verstricken, die zudem auf einem unhaltbaren Besitzstandsdenken beruhen, zeigt ein Blick in folgende Prognosen für die Entwicklung der römisch-katholischen Kirche bis ins Jahr 2040/50:
– Anteil der Katholiken an der Bevölkerung: Von 44% (um 1970) bis 22% (2040)
– Entwicklung der Gottesdienst-„Besucher“: Von 4.400.000 (2000) über 2.500.000 (2016) bis 300.000 [sic!] (2040)
– Anteil der Katholiken im Sonntagsgottesdient im Verhältnis zur Gesamtzahl der Katholiken: Etwa 50% (1950) über noch 10 % (2016) bis – nach konservativer Prognose – ca. 0,6% (2040)
– Zahl der erwerbsfähigen Katholiken: 13,5 Mio. (2016) auf 8,9 Mio. (2031) bis 5,9 Mio. (2041)
– Bestand an Priestern: 12.571 (2000) über 8.786 (2016) bis 3.872 (2050)
– Zahl der Priesteramtskandidaten: Von 470 (für Diözesen und Orden 1990) über 156 (2016, insgesamt) bis zu 0 (für Diözesen 2026) bzw. 0 (2036, insgesamt)
– Zahl der Kirchen und Kapellen: Von 24.500 (bei geringster Nutzung von 123 Gläubigen pro Sa./So. im Jahr 2011) bis zu 882 (2040) 
– Einzig wachsend ist bis 2016 die Entwicklung der Kirchensteuern – unter Berücksichtigung der Inflationsrate und anderer Faktoren – von netto ca. 2,8 Mrd. DM (1967: EKD: 1,6 Mrd. + RKK 1,23 Mrd.) auf 11,5 Mrd. € (2016: EKD 5,4 Mrd. + RKK 6.1 Mrd.) (Statik: FOWID anhand der Statistischen Jahrbücher)

Angesicht dieses auch die letzten Jahrzehnte überblickenden Faktenchecks, der für alle drei kirchensteuerpflichtigen Großkirchen ähnlich verheerend ausfällt, könnte naiv die Frage entstehen, ob es gar einen Zusammenhang zwischen dem Abwärtstrend der genannten Kirchen als gesellschaftliche Institutionen und der Einführung von Pfarrerinnen oder Priesterinnen gibt, zumal beide Phänomene ungefähr zeitgleich entstanden sind. Doch verbieten sich monokausale Erklärungen komplexer Prozesse meist.
Allerdings gibt es auch umgekehrt keinen einzigen Beleg dafür, dass die Negativentwicklung der „Glaubensverdunstung“ durch die FO gestoppt oder bloß gemindert worden wäre.

Als Fazit lassen sich somit folgende Argumente festhalten und ergänzen, die begründen: Die Forderung der FO …
1. … ist von gestern und ein „feministischer Ladenhüter“. Zeitgeschichtlich sind bestimmte Vorstellungen von FO aus dem Kontext der Frauenbewegung zu verstehen, die zu ihrer Zeit ihre Berechtigung hatten. Heute sind ihre wesentlichen Ziele aber soweit erreicht, dass in bestimmten Bereichen sogar eine Gleichstellung der Männer gefordert wird (s. etwa den Artikel „Wo Männer leiden“, in der SZ vom 9. Januar 2019). Auch im Zusammenhang mit manchen Kirchenträumen vergangener Jahrzehnte gehört die FO zu dem, was sie schon damals waren: romantisierende Träumereien vorbei an der Realität, Spiritualität und Geschichte einer Weltkirche. Ein Menschenrecht auf kirchliche Weihen kennt auch die weltliche Rechtsprechung nicht.
2. … ist gemäß Schrift und Tradition unbegründet. Nach biblischer Theologie sind Mann und Frau bereits „gleichgestellt“, weil sie als Ebenbilder G’ttes gleich-wertig geschaffen sind (vgl. Gen 1,27). In dem durch Christus gestifteten Neuen Bund sind zudem die kultischen Reinheitsgebote des Alten Bundes abgeschafft, und Männer wie Frauen haben jederzeit gleichen Zutritt zum Haus Gottes (Gal 3,28). Ferner ist bekannt, dass auch Jüngerinnen Jesus folgten (vgl. etwa Lk 8,1-3). Daraus jedoch samt anderem und aus den Spuren von — in der Eucharistiefeier nicht aktiven — frühchristlichen Diakonissen einen unbegrenzten Zugang aller Getauften zu allen Ämtern abzuleiten, die übrigens auch nicht jedem Mann offenstehen, entspricht einem naturalistischen Fehlschluss, insofern vom Sein (Ebenbild-G’ttes-Sein bzw. Getauftsein) auf das Sollen (alle Ämter für alle öffnen) geschlossen wird. Dementsprechend stellte auch die Internationale Altkatholische Bischofskonferenz 1976 fest, dass sie  „… in Übereinstimmung mit der alten, ungeteilten Kirche, einer sakramentalen Ordination von Frauen zum katholisch-apostolischen Amt eines Diakons, Presbyters und Bischofs nicht zustimmen“ kann. Ferner stellten die altkatholischen Kirchen der Union von Utrecht zusammen mit den orthodoxen Bischöfen in der Koinonia auf altkirchlicher Basis noch 1987 – ein Jahr vor der ersten Diakoninnenweihe und neun Jahre vor der ersten Priesterinnenweihe in der AKD –  fest (S. 94, 4. Abschn.): „Die ungeteilte Kirche hat, abgesehen von der nicht geklärten Einrichtung der Diakoninnen, die Ordination von Frauen nicht zugelassen“.
3. … löst keines der aktuell drängenden Probleme einer Kirche, auch nicht den Priestermangel. Vor allem ist sie keine Antwort auf die Entchristlichung Europas. Wie die römisch-katholische Kirche leiden überraschenderweise auch die protestantische und die alt-katholische Kirche — trotz Pfarrerrinnen und abgeschafftem Zölibat — unter einem Mangel an Geistlichen.
4. … bindet und verschleißt stattdessen benötigte Kräfte, die besser zum missionarisch offensiven und überzeugenden Werben für den christlichen Glauben eingesetzt werden sollten — egal, ob dies als Mann oder Frau geschieht. Denn ohne Gläubige hat keine Kirche eine Zukunft.
5. … spaltet garantiert jede Kirche: Dort, wo im Protestantismus, Anglikanismus und Altkatholizismus die FO durchgeboxt wurde, entstanden immer in Folge gravierende Kirchenspaltungen. Jesus will aber, dass wir eins sind (vgl. Joh 17,21f.). Eine Kirchenspaltung ist ein zu hoher Preis zur Erfüllung unberechtigter Forderungen.
6. … ist zutiefst klerikal. Paradoxerweise fordern oft die Stimmen am lautesten die FO, die gleichzeitig den Klerikern „Klerikalismus“ vorwerfen, ferner im Sinne basisdemokratischer Gemeindestrukturen die kirchlichen Leitungsämter abschaffen wollen und aufgrund des „gemeinsamen Priestertums aller Gläubigen“ (manchmal verwechselt mit Luthers „allgemeinem Priestertum“) eine verstärkte Beteiligung aller Laien an Gremien wie Entscheidungsprozessen verlangen. Das sind jedoch Forderungen, die einander ausschließen. Dass zu Diakoninnen und Priesterinnen geweihte Frauen dann nämlich ebenfalls zum Klerus gehören und ihn somit samt den klerikalen Strukturen verstärken, wird entweder bewusst übersehen oder opportunistisch gerne in Kauf genommen.
7. … ist zutiefst anti-ökumenisch, insofern alle orthodoxen Kirchen (chalzedonische wie nicht-chalzedonische), die strikt und aus guten Gründen am überlieferten Priestertum festhalten, entweder als Gesprächspartner auf Augenhöhe ignoriert werden oder in eine Schublade mit dem Etikett „fundamentalistisch-veraltet-minderbemittelt“ gesteckt werden, was ebenfalls kein angemessener Umgang mit Millionen von Christinnen und Christen anderer Konfessionen ist.

Eine einfache Frau hat vermocht, was kein Mann auf natürlichem Weg zustande bringen könnte: Sie hat IHM das Leben gegeben, der uns das ewige Leben gibt.
Jeder Mann könnte diese Frau zurecht um jenes Wunder beneiden.
Ist sie damit nicht bedeutender oder wichtiger als alle Päpste, Priester und Propheten zusammen?
Sollten wir uns nicht alle, Männer wie Frauen, auch im Hinblick auf sinnlose Debatten diese Frau zum Vorbild nehmen und Christus in uns tragen und dem Glauben ins Leben verhelfen, statt die Kirche zu spalten und die Problemlösungen auf morgen zu verschieben?

(RB)