Als ich etwa 18 Jahre alt war, da las ich das Buch Ein Mensch namens Jesus, einen Roman von Gérald Messadié. Ich habe den Schinken regelrecht verschlungen.
Der Autor erzählt entlang von historischen und biblischen Ereignissen, die Geschichte eines Jesus, der im Laufe der Jahre, aufgrund seiner Herkunft und seiner Lebensumstände schrittweise in seine Bestimmung als Messias hineinwächst.
Viele Erzählungen des Buches unterliegen der dichterischen Freiheit, verschmelzen aber ganz selbstverständlich mit biblischen Erzählungen und Berichten aus den Apokryphen [Anm. d. Red.: Es gibt wissenschaftlich genauer gearbeitete Jesus-Bücher, z. B. vom Neutestamentler Gerd Theißen Der Schatten des Galiläers].
Messadié beschreibt einen Jesus, der seiner Zeit voraus, sehr auf- und abgeklärt wirkt. Einen Jesus, der in jungen Jahren viel ‚rumgekommen ist. Auf seinen Auslandsreisen hat sich die Romanfigur viel Wissen angeeignet, auch über Krankheit und Heilung, so dass die Leute in Galiläa schnell beeindruckt sind von seiner Wortgewalt und seine Heilungen als Wunder bezeichnen.
Der Jesus des Gérald Messadié ist ein „systemkritischer“ Jude, der bei seinen öffentlichen Auftritten zu sozialen Reformen und unkonventionellen Lebensweisen aufruft, was bei der Bevölkerung nicht nur auf Zustimmung sondern auch auf Ablehnung stößt. So kommt es, wie es kommen musste, Jesus wird zum Tode verurteilt.
In der Romanerzählung ist Jesus aber nicht tot, er überlebt die Kreuzigung schwer verletzt, aber er überlebt sie. Die Wachen am Grab werden von seinen Anhängern bestochen, die ihn daraufhin in einem Versteck gesund pflegen.
Die Erzählung endet damit, dass Jesus nach seiner Genesung zum Meer reist. Auf dem Weg dorthin begegnet er zwei seiner ehemaligen Jünger in Emmaus. Er isst mit ihnen zu Abend und reist am nächsten Morgen weiter nach Joppe, von wo er nach Asien einschifft.
Ich kann mich noch gut an die Gedanken und Gefühle erinnern, die ich damals hatte, als ich am Ende das Buch zuschlug. Es waren die Gefühle, die wohl jeden Menschen ergreifen, wenn jemand so definitiv verschwindet. Schrecken und Entsetzen, vertrauende Ergebenheit, beobachtende Faszination und Ratlosigkeit.
Die Erzählung Messadiés führte in mir unweigerlich zu der Frage, die sich die Menschen angesichts der Tage zwischen Karfreitag, Ostern und Himmelfahrt immer wieder stellen: „Was, wenn Jesus nicht Auferstanden und in den Himmel aufgefahren ist?“
Die Frage ist so alt, wie das Christentum selbst, und immer wieder wurde und wird diese Frage von Anhängern anderer Religionen, Atheisten und pluralistischen Theologen aufgegriffen und als denkbare Variante und aus rein medizinisch-biologischer Sicht als Möglichkeit mit der höchsten Wahrscheinlichkeit in den Raum gestellt.
„Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut in den Himmel hoch?“ (Apg 1,11)
Auch für die engsten Vertrauten um Jesus, seine Gefährten und Freunde, war es kaum zu glauben, dass Jesus am dritten Tag von den Toten auferstanden sei. Er begegnete nach seiner Auferstehung vielen von ihnen, aber sie erkannten ihn nicht. Fast alle Erzählungen in denen der auferstandene Jesus seinen Freunden begegnet berichten davon, dass ihn keiner erkennt. Am leeren Grab hält Maria Magdalena ihn für den Gärtner, die Jünger auf dem Weg nach Emmaus gehen stundenlang neben ihm und merken nichts, die Jünger am See Tiberias sehen einen Mann am Seeufer und wussten nicht, dass es Jesus war.
Auf die Frage, was ist, wenn Jesus nicht auferstanden und in den Himmel aufgefahren wäre, antwortet Paulus auf seine ihm ureigene Art: „… (dann) sind wir die bedauernswertesten unter allen Menschen!“ (vgl. 1 Kor 15,19).
Bedauerlich fand ich den Schluss im Roman von Messadié, bedauerlich finde ich, dass es sogar Menschen gibt, die sich selbst als Christen bezeichnen, aber eine pluralistische Religionstheologie vertreten, der zufolge jede Religion die gleiche Heilsfunktion erfüllen kann.
Bedauerlich finde ich, dass es Christen gibt, die die Worte Jesu nicht ernstnehmen, die er sagte, unmittelbar bevor er in den Himmel aufgenommen wurde (vgl. Mk 16,15-20):
– Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet allen das Evangelium!
– Führt die Menschen zum Glauben und tauft sie, damit sie das ewige Leben haben!
– Legt den Kranken die Hände auf und betet für sie.
Ich bin froh, dass wir nicht da stehen und mit offenem Mund nach oben schauen so wie die Jünger, als Christus in den Himmel aufgefahren ist. Zu ihnen sagten die Engel: „Ihr Männer aus Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel hoch?“
Ich bin froh, dass wir eine Kirche mit Herz und Eifer sind! Christus ist auferstanden und in den Himmel aufgefahren, das ist ein Grund zum Feiern, und das dürfen wir gleich zweimal feiern, morgen im Gottesdienst und nachmittags auf der Grillparty! … Denn er ist bei uns „alle Tage bis zum Ende der Welt“ (vgl. Mt 28,20).