Eine Predigt zum Fest des heiligen Martin von Tours (11. November)
Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!
Auch heute noch wird das Fest des heiligen Martin von Tours wahrgenommen. Kinder mit Lampionzügen verbreiten Licht in der dunklen Jahreszeit. Martinsspiele werden aufgeführt. Ein Mantel wird geteilt. Martin von Tours war wohl eine Person, die Licht für andere war. Stundenlang legte er Kranken die Hände auf und heilte sie. Doch nicht nur Krankenheilungen nahm er vor. Er schlichtete und vermittelte. Seine große Leistung war es, Gallier, Römer und Franken zu einen und zu versöhnen. Er vermochte auf alle einzuwirken.
Die Taufe der Franken erfolgte sehr früh. Bischof Remigius von Reims taufte den Merowingerkönig Chlodwig um das Jahr 500. Etwa dreitausend Franken schlossen sich an, wie es dem Brauch entsprach. Der Reichsheilige des Frankenreiches das dann unter Karl dem Großen seine größte Ausdehnung erreichte, wurde Martin von Tours. Der im Folgenden vorgestellte Hymnus sucht sein Leben und sein Vermächtnis zusammenzufassen.
Ein neues Martinslied
Die erste Strophe erinnert an seine Heimat Ungarn. Er stammte aus der Provinz Pannonien und kam aus einer Soldatenfamilie. Er erhielt seinen Namen zu Ehren des Kriegsgottes Mars, der z.B. auch in der Form Martinianos üblich war. Die ungarische Erzabtei Pannonhalma trägt seinen Namen und erinnert bis heute an ihn. Auch gibt es in Szombathely (Stein am Anger) Wallfahrtsgottesdienste zu seinen Ehren.
Den zweiten Teil seines Lebens wird er als Bischof von Tours verbringen. Da Mitte November das landwirtschaftliche Jahr endgültig zur Neige geht und die Pacht in Naturalien bezahlt wurde, wird er gerne mit Gänsen in Verbindung gebracht. In der Antike war die Gans auch Zeichen der Wachsamkeit. Sie warnte und beschützte. Martin lebte und wachte für Christus.
1. Sankt Martin, dein Fest wir heut feiern,
es stärk im Glauben uns, wir flehn.
Dein Lebensweg begann im Osten,
in Gallien solltest du bestehn.
Den guten Kampf hast du vollendet,
du lebtest nur noch für den Herrn.
So bist ein Hirte du geworden,
für Tours, für uns, wir preisen dich.
Die zweite Strophe konfrontiert mit dem großen Bruch seines Lebens. Irgendwie muss er wohl einen inneren Konflikt mit sich ausgetragen haben. Das Soldatenleben war er leid. Kriegsdienst wollte er keinen mehr leisten. Julian der Apostat wollte das Heidentum wieder einführen. Martin machte da nicht mit. Dass er die Auseinandersetzung mit dem Kaiser schadlos überstanden hat, erscheint gleich einem Wunder. Martin entscheidet sich für das Christentum. Gott zu leben und zu dienen, ist ihm wichtiger als der Soldatendienst für den Kaiser. Er kämpft jetzt nicht mehr für den Kaiser, sondern für Gott.
2. Sankt Martin, Bischof hoch in Ehren,
dich unsern Schutzherrn feiern wir.
Du zeigst uns wie wir leben sollen
mit deinem Handeln für und für.
Du hast den Kriegsdienst aufgegeben,
zu leben nach des Herrn gebot,
du hast von nun an ihm gedienet,
zu jeder Zeit, in aller Not.
Die dritte Strophe steht für die Tat, die ihn berühmt gemacht hat, und die auch heute bekannt und beliebt ist. Er teilt den Mantel. Er sieht den Bettler am Stadttor von Amiens und handelt. Natürlich wusste er genau, dass ihm der schöne, weiße Soldatenmantel nicht gehört. Die Ausrüstung war Eigentum des Staates und er konnte nicht frei darüber verfügen. Er wird bestraft für das Teilen. Wieder war ihm das Irrationale und Überirdische wichtiger als die Vorschrift. Er war weder getauft noch Katechumene. Er handelt einfach menschlich. Und eben das ist auch wahrhaft christlich, wie uns das Evangelium: „Ich war nackt und ihr habt mich bekleidet.“ (Mt 25,36) Martin kennt die Menschlichkeit nicht unter dem Begriff der sieben Werke der Barmherzigkeit. Und doch handelt er danach. Unter Kleidermangel leiden wir heute nicht. Heute bedeckt er die Leiden und Krankheiten unserer Seele, wenn wir ihn darum bitten.
3. Sankt Martin, hilf uns du zu lieben
den Herrn und alle Menschen hier.
Du hast geteilt mit einem Bettler,
gezögert nicht, wir danken dir.
Bedecke nun mit deinem Mantel
uns Armen unsrer Seele Not,
schenk deinen Schutz deiner Gemeinde,
die hier noch trägt des Tages Last.
In der vierten Strophe geht es um Gebet und das große Ideal des Mönchtums. Lange vor Benedikt von Nursia bemüht sich Martin um monastisches Leben. Er hat das Mönchtum hier zu Lande eingeführt und mehrere Klöster gegründet, das erste in Ligugé. Erfreulicherweise bestehen sie heute noch oder wieder, da die Französische Revolution ja alle Klöster zerstörte und vernichtete. Er wollte nicht in einem Bischofshaus inmitten der Stadt ein fürstliches Leben führen. Am Stadtrand baute er sein Kloster. Jeden Morgen standen die Menschen Schlange, um von ihm die Hände aufgelegt zu bekommen. Sie suchten Heilung an Seele und Leib auf seine Fürbitte hin. Er vertrieb Dämonen und weckte Tote auf. Er war ein alter Christus (zweiter Christus) im Sinne eines Jüngers, der Jesus nachfolgte und gleich ihm zum Lebensspender wurde. Er suchte in der Stille die Nähe Gottes. Mönch sein heißt nach frühem Brauch Beten, Fasten und so den Frieden für die Welt erflehen. Martin besaß Übung darin. Freilich musste er seine seelsorglichen Aufgaben als Bischof wahrnehmen. Er hatte die Fähigkeit zu vermitteln und zu schlichten. Er weilte mehrmals zu Synoden in Trier. Vielleicht traf er dort Athanasius den Großen und lernte von ihm das engelgleiche Leben. Antonius der Große nannte die Mönche die neuen Engel im neuen Zion.
4. Sankt Martin, allen, die hier beten,
in dieser Kirche flehn zum Herrn,
sei nahe, denn du suchtest ihn ja,
ein Leben lange immer gern.
Du hast dein Leben aufgerieben,
verströmt für Christi Herde dich,
im Zeugnis hast du ihn verkündet,
der dich durch seinen Geist geführt.
Das Lied entstand konkret für eine Kirche, die das Martinspatrozinium hat. Die fünfte Strophe empfiehlt das Volk Gottes auf die Fürsprache des heiligen Martin dem Herrn an. Der Patronus war in der römischen Gesellschaft für seine Leute zuständig und verantwortlich. Martin hilft uns, zu Menschen und Christen zu werden. Der Heilige Geist kommt und nimmt Wohnung in uns. Geistliches Leben entfaltet sich, wenn wir versuchen wie Martin Jesus nachzufolgen. Sulpicius Severus, sein Biograph, berichtet, in der Nacht nach der Mantelteilung sieht Martin im Traum Christus. Dieser spricht: „Martin hat mich mit seinem Mantel bekleidet.“ Das Schriftwort „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, habt ihr mir getan“ (Mt 25,40) hat Martin erfüllt und vorgelebt.
5. Sankt Martin, sieh auf die Gemeinde,
das Volk des Herrn in dieser Welt.
Du warst ein Tempel seines Geistes,
wir sind oft seiner Botschaft fern.
Hilf uns zum Glauben, führe Du uns,
lass niemals ab für uns zu flehn,
dann finden wir im Nächsten Christus,
dann schauen wir wie du den Herrn.
Text (alle 5 Str.): Joachim Danz 1984
zur Melodie von „Nun saget Dank und lobt den Herren“
(Guillaume Franc 1543, Loys Bourgeois 1551)
Der heilige Martin war der erste Nichtmartyrer, der als Heiliger verehrt wurde. Auch wenn das Mönchtum an die Stelle der Martyrer trat, wurde nicht jeder Mönch heilig. Martin war stets um Askese bemüht. Große Achtung vor weltlicher Autorität hatte er nie. Die Konsequenz der Mantelteilung war ihm egal oder sogar gewollt. Wenn er als Bischof an die Tafel des Fürsten eingeladen wurde, dann kam er nicht in Samt und Seide wie andere Bischöfe, sondern er trug seine Alltagskleidung, seinen alten, zerschlissenen Habit. Martin war der einzige Bischof, der sich in Trier für einen verurteilten spanischen Bischof einsetzte, der eine rigorose Frömmigkeit und Fastenpraxis lebte. Martin sagte, es geht nicht an, dass Christen gegen Christen vorgehen. Er holte sich vom Kaiser das Versprechen, kein Todesurteil zu fällen. Nach der Abreise Martins fällte dieser das Todesurteil. Martin hielt es für völlig ausgeschlossen, dass Christen untereinander Krieg führen oder Bischöfe sich gegenseitig bekämpfen. Ein heiliger Martin scheint der heutigen Kirche und Gesellschaft sehr zu fehlen. Seine Cappa war die Reichsreliquie des Frankenreiches. Das Regierungssystem bestand darin, dass der Herrscher von Pfalz zu Pfalz zog und im ganzen Land nach dem Rechten sah und Recht sprach. Für die Cappa musste ein heiliger Raum errichtet werden, den man Capella nannte. Der Priester der Capella war der Capellanus oder Kaplan. Mögen in ganz Europa auf die Fürbitte des heiligen Martin Recht und Frieden aufblühen. Möge ganz Europa menschliches Handeln zuteil werden.
Zum Fest des heiligen Martin 2022
Diakon Joachim Danz,
Dipl.-Theol. (Univ.)