Stabkirche Fantoft/Norwegen
Foto Micha L. Rieser

Die nordisch-katholische Spiritualität speist sich aus den drei Quellen des skandinavischen Christentums: der iroschottisch-angelsächsischen (über die britischen Missionen), der karolingisch-römischen (über St. Ansgar) und der slawisch-byzantinischen (über die Kiewer Rus). Dies kommt insbesondere in ihrer — im besten Sinne altkatholischen — Liturgie zum Ausdruck, die in ihre westliche Struktur auch Elemente gallikanischen und byzantinischen Ursprungs aufnimmt.

Hinweis: Unser Sakramentar (Messbuch/Agende) ist samt Ergänzungsband (Pontificale) auch im Buchhandel erhältlich.

Charakteristika nordisch-katholischer Liturgie

In unserer Liturgie sind — wie auch in den orthodoxen Kirchen des byzantinischen Ritus — folgende Elemente selbstverständlich:

  1. die gemeinsame Gebetsrichtung (versus orientem) von Zelebrant und Gläubigen, als traditioneller Ausdruck der gemeinsamen Hingabe an den dreifaltigen Gott,
  2. das auf dem Altar liegende Antimension als Zeichen der Beauftragung durch den Bischof (in dessen Vertretung die Eucharistie gefeiert wird, vgl. z.B. Ignatius v. Antiochien, ep. Smyrn., cap. 8) und
  3. ein historisch gewachsenes liturgisches Jahr bzw. Proprium Missae — in unserem Fall basierend auf der Leseordnung des liber comitis (5. Jh., Hieronymus zugeschrieben) und den vortridentinischen Orationen (beides größerenteils bewahrt in der lutherischen und anglikanischen Tradition) — samt einem maßvollen Festkalender.

[ad 1: Auch maßgebliche Theologen der Utrechter Union bezeichnen die dort verbreitete umgekehrte Zelebration versus populum inzwischen als „unglückliche Entwicklung“, vgl. z.B. P.-B. Smit, IKZ 102 (2012): 162.]

Auch in der Kirchenmusik wird — im Sinne eines betenden Gesangs, unter Berücksichtigung der jeweiligen Gegebenheiten vor Ort — Wert gelegt auf eine organische Verbindung mit der Tradition. Zum Ausdruck kommt dies:

  1. durch die Verwendung historischer (gregorianischer, slawischer und byzantinischer) Choraltraditionen sowie von Psalmodie;
  2. durch die besondere Berücksichtigung von Vertonungen oder vertonten Übertragungen biblischer und altkirchlicher Texte;
  3. durch die weitgehende Vermeidung textlicher Neuschöpfungen jüngeren Ursprungs (seit dem Spätmittelalter) während der eigentlichen Liturgie — solches Liedgut kann vor oder nach der Messfeier sowie nach der Predigt erklingen.

Der gregorianische Choral sollte in den Liturgien des römischen Ritus „den ersten Platz einnehmen“, wie auch noch das Zweite Vatikanische Konzil gelehrt hat (SC 116). Gleichwohl ist die Gregorianik nicht die einzige historische Choraltradition, die eng mit dem römischen Ritus verbunden ist; man denke etwa an den glagolitischen Kirchengesang.

Theologisches Fundament

Allgemein werden in der Nordisch-Katholischen Kirche jene liturgischen Traditionen besonders wertgeschätzt, welche

  1. in ihren Grundzügen in die Zeit der ungeteilten Kirche des ersten Jahrtausends von vor dem Schisma des Jahres 1054 zurückreichen,
  2. von der Kirche ohne grundlegende Veränderung lebendig gehalten wurden und
  3. in unserem kulturellen Kontext pastoral vermittelbar sind.

Die einzelnen Administraturen der Nordisch-Katholischen Kirche genießen schon aufgrund sprachlicher und kultureller Eigenheiten eine gewisse liturgische Selbständigkeit. Drei Quellen sind für das neu aufblühende liturgische Leben der deutschen Administratur besonders bedeutsam. Sie stammen alle aus den älteren Schichten der römisch-alexandrinischen Liturgietradition; die sogenannten Wandlungsgebete des römischen Kanon sind z. B. schon in der ambrosianischen Schrift De sacramentis aus dem 4. Jh. bezeugt:

  1. (für das Ordinarium der Messe) der überlieferte römische Ritus in seiner ältesten noch lebendigen vortridentinischen Formen, nämlich der Usus der Kartäuser, welcher die Liturgie des 11. Jahrhunderts in der Kirchenprovinz Lyon besonders treu bewahrt hat.
  2.  (für das Proprium Missae) der Usus von Sarum/Salisbury, der (a) im Wesentlichen aus dem 12. Jh. datiert, (b) sehr altes Liturgiegut aus der Zeit der Erzbischöfe Augustinus und Theodor von Canterbury bewahrt hat, und (c) nicht nur für die frühesten englischen Liturgiereformen (1544-1549) sowie deren anglokatholische Wiederbelebung (Schottland 1637, Amerika 1789, England 1928) Pate stand, sondern (d) in engem Zusammenhang mit den skandinavischen Lokalriten (Nidaros, Uppsala) steht.
  3. (in einzelnen Aspekten) die griechische Markusliturgie  — teilweise schon enthalten im Straßburger Papyrus Gr. 254 aus dem 4./5. Jh. — als Messe des altkirchlichen Patriarchats von Alexandrien; es handelt sich dabei sozusagen um die „westlichste“ aller orientalischen Liturgien, welche (wie schon von Duchesne bemerkt) wichtige Parallelen mit dem alten stadtrömischen Ritus aufweist.

Als alternatives Eucharistiegebet wird auch zuweilen jenes der Traditio apostolica (frühes 3. Jh.) verwendet. Dieses folgt zwar dem antiochenischen Aufbau der Anaphora, hat aber bis nach Äthiopien Verbreitung gefunden, wo es bis heute durch die dortige orientalisch-orthodoxe Nationalkirche verwendet wird. Seit den postkonziliaren Liturgiereformen der 1970er Jahre ist es auch im christlichen Westen sehr weit verbreitet — und erfordert daher aus pastoralen Erwägungen eine gewisse Berücksichtigung. Zur Vermeidung sakramentaltheologischer Missverständnisse wurde die Wandlungsepiklese entfaltet und die Doxologie trinitarisch präzisiert (siehe Anhang).

Konkrete Umsetzung

Abgesehen vom Gebrauch der Landessprache sind aufgrund von liturgiehistorischen Befunden wie aus theologischen Überlegungen an den überlieferten Liturgien des römischen Typs (darunter eben der Usus der Kartäuser) jedoch folgende Korrekturen im Sinne einer „westlichen Orthodoxie“ vorzunehmen:

  1. Das Wiederherstellen des ursprünglichen Glaubensbekenntnisses von Nizäa-Konstantinopel (381) durch Streichen der erst nach 1014 in Rom eingefügten Worte „und dem Sohn“ (Filioque).
  2. Das Wiederherstellen des Heilsgedächtnisses im Messkanon ohne die missverständliche Wendung „durch die Verdienste“ (meritis).
  3. Mit Rücksicht auf das orthodoxe Eucharistieverständnis die Einfügung einer expliziten Wandlungs- und Kommunionepiklese (westlichen Ursprungs) vor dem Gebet Supplices, te rogamus des Messkanons.

Um zum gemeinsamen Erbe der Ostkirche und der frühen Westkirche zurückzukehren, sind folgende Revisionen unerlässlich:

  1. Die Ausweitung des Kyrie zu einer kurzen Ektenie (Litanei) zusammengestrichen vermutlich durch Papst Gregor im 6. Jh., erhalten etwa in der deprecatio Gelasii.
  2. Die Wiedereinfügung von Fürbitten (Litanei oder Diptychen) vor dem Offertorium — bekannt aus den antiochenischen, alexandrinischen, ambrosianischen und gallikanischen Liturgien, bezeugt schon bei Justin dem Märtyrer (apol. I, cap. 66).
  3. Das Vorziehen des Friedensgrußes direkt vor die Fürbitten und das Offertorium (Mt 5,23!) — in den frühen östlichen Liturgien und bei Justin dem Märtyrer (ibid.) noch an dieser Stelle der Liturgie bezeugt, in Rom vermutlich durch Papst Innozenz 416 vor die Kommunion verlegt.

Eine Einfügung weiterer Gebete nach dem isolierten Oremus des römischen Ritus vor dem Offertorium ist ebenfalls theologisch und liturgiehistorisch sinnvoll. Allerdings wird dies — wie Gregory Dix gegen Louis Duchesne, unter Hinweis auf das Sacramentarium Gelasianum sowie den gallikanischen und ambrosianischen Ritus, dargelegt hat — eine Art Tagesgebet in der Gestalt der ambrosianischen Oratio super sindonem sein, nicht aber Fürbitten im eigentlichen Sinne. Vor dem Glaubensbekenntnis ließen sich Fürbitten nach der Art des altkirchlichen Gebets für die Katechumenen einfügen — als Ergänzung zum Gebet der Gläubigen, das vor dem Offertorium die Mahlfeier eröffnet.

„Kommt und seht!“

(Joh 1,39)

Anhang:
Eucharistiegebet nach der Traditio apostolica

Post-Sanctus

Dank sagen wir Dir, Herr, /
durch Deinen geliebten Sohn Jesus Christus, *
den Du uns in den letzten Tagen gesandt hast zum Heiland und Erlöser, /
als Boten Deines Rates.

Anamnese

Er ist das Wort, /
welches aus Dir ist, *
durch welches Du alles gemacht hast /
nach Deinem Willen.

Du hast Ihn auch vom Himmel gesandt /
in den Schoß der Jungfrau. *
Fleisch ist Er geworden /
und ward getragen in ihrem Leibe, *

damit Er Deinen Willen erfülle /
und ein Volk Dir bereite *
durch Ausbreitung Seiner Hände.

Gelitten hat Er, damit Er die Leidenden befreite, die auf Dich trauen *
der nach Seinem Willen /
übergeben ward in das Leiden,

damit Er den Tod auslöste, die Bande des Satans zerbräche, *
die Unterwelt zerträte, *
die Heiligen hinausführte /
und die Auferstehung offenbarte.

Einsetzungsbericht

Das Brot nehmend also /
sagte Er Dank und sprach: *
Nehmet, esset, dies ist Mein Leib, /
der für euch gebrochen wird.

Auf ähnliche Weise nahm er auch den Kelch /
und sprach: Dies ist Mein Blut, *
das für euch vergossen wird; /
wann ihr dies tut, so tuet es zu Meinem Gedächtnis.

Eingedenk also Seines Todes und Seiner Auferstehung /
opfern wir dies Brot und diesen Kelch, *
Dir danksagend, dass Du uns würdig gemacht hast, /
vor Dir zu stehen und Priesterdienst Dir zu verrichten.

Wandlungsepiklese

Und demütig bitten wir Dich: /
Sende Deinen Heiligen Geist auf die Opfergaben dieser Gemeinde, *
um sie in Leib und Blut /
Deines geliebten Sohnes Jesus Christus zu verwandeln.

Kommunionepiklese

Und verleihe allen, die davon empfangen, Heiligkeit, /
dass sie erfüllt werden vom Heiligen Geist, *
zur Bestärkung des Glaubens in der Wahrheit, dass sie Dich feiern und loben /
in Deinem Sohne Jesus Christus.

Interzessionen (z.B. nach Didache 10,5)

Gedenke, Herr, Deiner Kirche, /
um sie von allem Bösen zu erlösen *
und in Deiner Liebe zu vollenden.
Versammle sie von allen Richtungen des Himmels *
in Dein Reich, das Dein Sohn für sie bereitet hat.

Doxologie

Durch Ihn und mit Ihm und in Ihm /
wird Dir dargebracht, Gott, allmächtiger Vater, in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes *
alle Herrlichkeit und Ehre, /
jetzt und in Ewigkeit.

Amen.

nach der Übersetzung bei H.A. Koestlin (1887);
mit entfalteter Wandlungsepiklese und trinitarisch präzisierter Doxologie;
eingerichtet zum Gesang auf Präfationston und IV. Psalmton