„Einen Engel des Friedens … lasst uns erflehen vom Herrn“

Das Wunder von Chone: Ikone im Katharinenkloster/Sinai, 12. Jh.

Gedanken zum Engelmonat von Vater Joachim Danz

„Einen Engel des Friedens, einen treuen Beschützer für Seele und Leib, lasst uns erflehen vom Herrn.“

Aus den Fürbitten des byzantinischen Ritus

St. Michael: Quis ut Deus — Wer ist wie Gott!

Der Monat September beginnt. Er wurde einst auch „Schutzengelmonat“ genannt, denn er war eingerahmt von Engelfesten. Mancherorts wurde am ersten Sonntag im September das Schutzengelfest begangen. Am 29. September ist bis heute das Fest des Erzengels Michael. (Hebräisch: mi-cha-el, d.h. wer ist wie Gott? Vgl. Vulgata Ps 112,5: Quis ut dominus Deus [hebr. 113,5].) Es geht zurück auf den Weihetag eines Michaelsheiligtums 435 in Rom an der Via Saleria. Die Salzstraße war ein viel frequentierter Handelsweg. Papst Gelasius I. übernahm für alle Kirchen dieses Fest des 29. September. Am Monte Gargano in Apulien wurde im 5. Jahrhundert eine Höhle dem Erzengel geweiht. Er war erschienen und hatte den Bischof darum gebeten.

Bereits von Konstantin dem Großen wird eine Erscheinung des Erzengels Michael 314 berichtet. So wurde ihm in Sosthenion nahe der Stadt Konstantinopel das Michaelion geweiht. Es war die erste der 15 Michaelskirchen in Konstantinopel.

Seit meiner Schulzeit ist mir die Ikone „Das Wunder von Chone“ vertraut. Jetzt kommen wir in die Frühzeit der Kirche. Chone ist der spätere Name für Kolossae. An die Kolosser schrieb Paulus einen Brief. Bereits im 3. Jahrhundert wird von einer Heilquelle an einer Michaelskirche berichtet. Kranke werden gesund und finden Heilung. Ca. 100 Jahre später wollen Nichtchristen Flüsse umleiten, um das Heiligtum zu zerstören. Bewegt hat sie Neid, weil es Gläubigen dort gut geht und weil sie in Krankheit neues Leben finden. Der Küster oder Einsiedler betet zum hl. Michael. Dieser leitet die Flüsse um. Das Heiligtum und seine Heilquelle bleiben unversehrt. Auf der Ikone ist eben diese Szene zu sehen. Der Einsiedler steht neben seiner Kapelle. Den strömenden Flüssen wird vom Erzengel ihre zerstörende Macht genommen. Am 6. September findet sich der Gedenktag im byzantinischen Heiligenkalender. In ganz Kleinasien gab es Quellheiligtümer. In heißem Wasser fanden Kranke Heilung und Genesung auf die Fürbitten Michaels. Michael ist ein Heilkundiger. Er ist ein himmlischer Arzt und Patron der Kranken.

Christus, unser Gott, war in die Fluten des Jordan hinabgestiegen, um die Wasser zu heiligen. Die bedrohliche Seite des Wassers soll gewandelt werden in ein heil- und segenbringende. Michael setzt gleichsam diese Tätigkeit fort, denn die „Engel dienen ihm“. In den Quellheiligtümern finden Menschen neue Lebenskraft durch die Unterstützung des Erzengels. Das Wasser entfaltet seine heilende Wirkung.

„Der größte Heerführer
des größten Königs
Wohin er auch geht, siegt er
und wirkt Wunder…
Der Heerführer des Lichts
vertreibt die Unreinen
und mit seinen Schwingen
schützt er die Gläubigen.“

Aus einem Gedicht des hl. Nikolaj Velimirovic

„Ich bin das Oberhaupt der himmlischen Kräfte“ – Engel bei den Kopten und im Alten Testament

Eine ältere Tradition als die byzantinische ist die der koptischen Kirche. In ihr scheint der Engelglaube besonders wichtig zu sein. Denn neben dem Hauptfest des Erzengels Michael am 12. Hatur, also am 21. November, ist der 12. eines jeden Monats dem Anführer der himmlischen Heerscharen gewidmet. Begründet werden die Feste mit dem Erscheinen des Engels vor Josua.

„Er schaute auf und siehe, da stand ein Mann vor ihm mit einem gezückten Schwert in der Hand. Josua ging auf ihn zu und fragte ihn: Gehörst du zu uns oder zu unseren Feinden? Er gab zur Antwort: „Nein ich bin der Anführer des Kriegsheeres des Herrn und eben gekommen. Da warf sich Josua auf sein Antlitz zur Erde nieder, huldigte und sagte zu ihm, Was befiehlt der Herr seinem Knecht? Der Anführer des Kriegsheeres des Herrn entgegnete Josua: Ziehe deine Schuhe von deinen Füßen, denn die Stätte, auf der du stehst, ist heilig. Josua tat also.“ (Jos 5,13-15).

In dem Anführer der himmlischen Heerscharen wird Michael erkannt und gesehen. Nach koptischen Brauch werden in seinem Namen Almosen gegeben, „weil er den Herrn um die Fruchtbarkeit, das Wachsen des Nils und den Wechsel der Luft bittet…“ (zitiert nach: Synaxarium. Waldsolms-Kröffelbach 1994, S. 88) Michael ist es, der sich der Armen annimmt und sie versorgt. Er ist es, der aus allen Nöten errettet. Er bringt unsere Opfer und guten Werke vor den Herrn.

In der alten römischen Liturgie gab es im Requiem das Offertorium Domine Jesu Christe. In ihm wird die Bitte ausgesprochen: „Vielmehr geleite sie Sankt Michael, der Bannerträger in das heilige Licht…“ Nach einer liturgischen Theorie stammt der Text des Offertoriums aus der koptischen Kirche. Oft habe ich es in der neuen Liturgie als Wechselgebet mit der Gemeinde gesprochen. Michael geleitet die Toten in das ewige Leben. Er steht Lebenden und Toten bei.

Dass Gott uns mit seinen Engeln umgibt, formuliert Psalm 90 (hebr. Zählweise: 91) in der Septuaginta: Am Anfang in Vers 4 spricht Gott die Verheißung aus: „Mit seinen Flügeln beschirmt er dich, in die Hut seiner Fittiche birgst du dich, Seine Treue ist Schild dir und Schutz.“ Die Engel sind gleichsam die Garanten dafür. Sie sind Gottes verlängerter Arm. Sie führen aus, was Gott auch uns sagt: „Er entbietet für dich seine Engel, dass sie dich schützen auf all deinen Wegen, Sie tragen dich auf ihren Händen, damit sich dein Fuß an keinem Stein stoße.“ (V. 11-12)

Die Gastfreundschaft Abrahams bei der Eiche von Mamre verbindet mit dem Besuch der Erzengel die Verheißung neuen Lebens. Vor allem in der russischen Theologie wurde die Ikone dieses Ereignisses zur Dreifaltigkeitsikone, da die Väter von einem Zeichen der Offenbarung der Dreifaltigkeit sprechen. Nach griechischem Brauch spricht man bis heute gerne von Michael, Gabriel und Rafael, die zu Abraham und Sarah kommen und von Gott eine Botschaft bringen. (Vgl. Gen 18.)

Dreifaltigkeitsikone von Andrej Rubljow, um 1400

„Welcher von Engelscharen unsichtbar geleitet wird“

Die Heiligen- und Engelverehrung wurde von der Kirche aus dem Judentum übernommen. Im Frankenreich war Martin von Tours der Beschützer dieses Reiches. Ludwig der Fromme, der Sohn Karls des Großen verfügte dann, dass Michael als weiterer Patron ernannt wird. Vor allem im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation wird Michael als Patron Deutschlands verehrt. Auch zu Zeiten des Alten Testaments wurde Michael als der erste Beschützer Israels angerufen.

Ich brauche nicht an die Botschaften der Engel im Neuen Testament zu erinnern. Von der Verheißung an die hl. Gottesgebärerin (Lk 1,26ff) über den Gesang des „Ehre sei Gott in den Höhen“ (Lk 2,14) bei Christi Geburt bis zur Verkündigung der Auferstehung (z.B. Mt 28,2) sind es Engel, die uns unterweisen. Oft hören wir „Fürchte dich nicht“ (z.B. Lk 1,30 o. Mt 28,5) . „Fürchte dich nicht“ rufen Gottes Engel auch uns in jeder Lebenssituation zu. Ein Theologe der Gegenwart, Anselm Grün OSB, verbindet in seinen Engel-Büchern alle unsere Lebenssituationen mit den Engeln. „Der Engel des Lichts macht Dir den Blick hell, damit Du all das Schöne wahrnehmen kannst, das die Welt Dir anbietet. […] Der Engel des Lichts möchte Dich erleuchten, damit Du selbst für andere zum Licht werden kannst.“ (Grün, Anselm: 50 Engel für die Seele. Freiburg 2002, S. 150 u. 149.) „Der Engel des Schweigens möchte dich in das Schweigen einführen, das heilt, das Dir gut tut, das auch für die Menschen um Dich herum zur Wohltat wird.“ (Ders.: Engel für das Leben. Freiburg 2001, S. 199)

Die Engel heilen uns und helfen uns, wie sie dem Einsiedler von Chone geholfen haben. Auch er durfte ihr „Fürchte dich nicht“ vernehmen. Wir brauchen uns nicht zu fürchten in einer Zeit der Kriege und Katastrophen. Wir brauchen uns nicht zu fürchten, wenn uns jetzt die nächste Corona-Welle angekündigt wird.

„Alle Sorge des Lebens lasset uns verbannen. Denn wir werden empfangen den König über alles, ihn, der unsichtbar geleitet wird von Engelscharen.“ Dieser Text des Cherubikon (= Prozessionshymnus zur Darbringung der Gaben) der byzantinischen Liturgie fordert uns auf, unser Leben Gott und seinen Engeln anzuvertrauen. Die Überschrift des vorliegenden Beitrags ist ebenfalls der Göttlichen Liturgie entnommen. In den Fürbitten der eucharistischen Liturgie (Ektenie zur Darbringung der Gaben) und auch im Stundengebet am Morgen und am Abend ist stets diese Fürbitte zu hören. „Jeder Mensch hat einen Schutzengel“, sagt Basilius der Große.

Der Schutzengelmonat September lädt uns ein, im Gebet oder im Schweigen dieses Geheimnis zu betrachten. Patrozinien berühmter Kirchen, etwa des Mont Saint Michel oder der Engelsburg in Rom erinnern uns ebenfalls daran. Kirchen auf Anhöhen oder Friedhofskirchen wurden gerne dem hl. Michael geweiht. Mögen Michael und seine Engel uns erflehen, was uns zum Nutzen gereicht.