Katechetische Notizen zur orthodox-altkatholischen Lehre I/1

Wir dokumentieren hier in unregelmäßigen Abständen die Notizen zur Katechesenreihe (von Bischofsvikar F. Herzberg) über das orthodox-altkatholische Konsensdokument Koinonia auf altkirchlicher Basis (hrsg. Urs von Arx, IKZ 79/Sonderheft (1989)).

Vorbemerkungen…

Wir beginnen heute eine betont theologische Katechesenreihe. Nicht jeder Christ hat positive Assoziationen mit Theologie. Doch zu Unrecht:

  • Theologie heißt etymologisch: „Gott-Rede“, d.h. Rede über und/oder mit (!) Gott, dem Urgrund des Seins.
  • Evagrius Pontikos: „Wer richtig betet, ist Theologe; wer Theologe ist, betet richtig.“
  • Rechtes Beten, rechter Glaube, rechtes Handeln gehören zu sammen: lex orandi – lex credendi – lex vivendi.
  • Gute Theologie zeichnet sich aus durch das sentire cum ecclesia, den engen Austausch mit dem Volk Gottes – und ist daher stets lebensnah.
  • (Oder etwas moderner ausgedrückt, mit Karl Barth: Theologie ist eine „Funktion der Kirche“.)

Die Katechesenreihe gründet auf dem orthodox-altkatholischen Konsensdokument Koinonia auf altkirchlicher Basis [hrsg. Urs von Arx = IKZ 79/Sonderheft (1989)]:

  • Die Koinonia auf altkirchlicher Basis harmonisiert östliche und westliche theologische Traditionen,
  • und zwar auf der Grundlage vielfältiger biblischer und früher patristischer Zeugnisse;
  • sie ist das bislang umfassendste (wenngleich nicht umfangreichste) ökumenische Konsensdokument, das die orthodoxen Kirchen in einem bilateralen Dialog erarbeitet haben.

Im Laufe der Katechesenreihe werden wir gemeinsam die „Gemeinsamen Texte“ der Gemischten Orthodox-Altkatholischen Theologischen Kommission (so der offizielle Titel des Konsensdokuments) studieren. Dabei soll uns die folgende, etwas schematische, aber effektive Vorgehensweise helfen:

  • Die Überschriften der einzelnen Katechesen entsprechen den Kapitel- und Abschnittsüberschriften aus der Koinonia auf altkirchlicher Basis.
  • Die Fragen der Katechesen orientieren sich an den einzelnen Absätzen des jeweils zugrunde liegenden Abschnitts (die untergliedernde Nummerierung innerhalb eines Abschnitts wird in die Überschriften der Fragen aufgenommen).
  • Wir werden die Fragen gemeinsam, meist mit „offener Bibel“, diskutieren; im Dialog werden wir Antworten erarbeiten und mit den Aussagen des orthodox-altkatholischen Konsens vergleichen.

Kurzum: Es geht bei diesen Katechesen um eine Art Lern- und Lesehilfe zur Koinonia auf altkirchlicher Basis, die deren Rezeption an der kirchlichen Basis fördern soll. Die in eckigen Klammern […] gesetzten Teile sind Zusätze (Verweise auf Schriftstellen, Zitate oder erläuternde Aussagen), die sich zwar inhaltlich nicht in der Koinonia finden, aber einen Mehrwert für die Darstellung des jeweiligen theologischen Gegenstands haben.

I/1 Die göttliche Offenbarung und ihre Überlieferung

Wen meinen wir mit „Gott“? Können wir etwas über Gott, seine Existenz und sein Wesen wissen?

  • Mit „Gott“ meinen wir die heilige Dreifaltigkeit: Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist. [Vgl. den Tauf- und Missionsbefehl, Mt 18,19.]
  • [Um eine immanente, referenzielle Definition zu geben: Gott ist, nach christlicher Auffassung, identisch mit dem „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“ (Ex 3,6 = Mt 22,32).]
  • Die Existenz eines Schöpfergottes und von dessen Güte kann jeder erkennen, lehrt Paulus gegenüber heidnischen Griechen: Apg 14,17.
  • [Gottes Transzendenz und Selbst-Existenz kommen zum Ausdruck in seinem früheren Namen: „Ich bin, der ich bin“ (Ex 3,14). Aufgrund der weiteren übernatürlichen Offenbarung, darunter insbesondere Gottes Menschwerdung (s.u.), kann Gott nun näher beschrieben werden.]

(1.) Auf welche Weise(n) hat sich Gott zuerst offenbart?

  • Gott hat sich offenbart in der Schöpfung: Röm 1,20. [Diese sogenannte allgemeine oder „natürliche Offenbarung“ spiegelt sich nicht zuletzt in der Gesetzmäßigkeit der Schöpfung, besungen z.B. in Ps 19.]
  • In herausgehobener Weise hat Gott sich offenbart im Menschen, der Gottes Ebenbild ist. [Vgl. Gen 1,27.]
  • Das menschliche Gewissen bezeugt Gottes Gesetze bzw. Gebote: Röm 2,15. Hierdurch kann man bereits die Existenz der sogenannten „speziellen“ oder „übernatürlichen“ Offenbarung erahnen.

(2.) Warum fällt es dem Menschen schwer, Gott zu erkennen?

  • Die Menschen gehorchten nicht dem Gebot Gottes. [Der locus classicus ist die Perikope vom Sündenfall: Gen 3,17].
  • Dadurch wurde ihre Gottesebenbildlichkeit (s.o.) verdunkelt… ,
  • … ebenso auch ihre Fähigkeit, Gott zu erkennen: Röm 1,21.25.

Warum hat sich Gott einst dem Volk Israel offenbart; welchen Charakter hat diese Offenbarung?

  • Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und die Wahrheit erkennen: 1 Tim 2,4.
  • Gott offenbarte sich zunächst vorläufig durch die Propheten: Hebr 1,1.
  • Zu den Propheten gehört auch Mose; das (mosaische) Gesetz soll uns pädagogisch vorbereiten auf Christus: Gal 3,24. [Ja, auch Mose gilt in der Schrift als Prophet: Apg 3,22 = Dtn 18,15.]
  • [Im Alten Bund wurde von einer fortschreitenden übernatürlichen Offenbarung durch Propheten ausgegangen: Dtn 18,15. (Die sadduzäische Thelogie, die nur Mose als Prophet gelten lassen wollte, wird bereits in den Evangelien verworfen: Mt 22,23.29; Apg 23,8. Das rabbinische Judentum teilt diesbezüglich die christliche Position.) Kriterium für authentische Prophetie war jeweils die Kohärenz mit der vorausgegangen Offenbarung: Dtn 13,2-5. Die übernatürliche Offenbarung ist mit Christus an ihr Ziel gelangt: Hebr 1,1; Jud 3.]

(3.) Worin besteht die vollkommene Offenbarung Gottes, wie ist sie erfolgt und was ist ihr Ziel?

  • Höhepunkt der Heilsgeschichte ist die Offenbarung Gottes in seinem Sohn: Gal 4,4, Kol 2,9.
  • Der Sohn Gottes ist das Fleisch gewordene Wort Gottes: Joh 1,14.
  • Nur durch den Sohn Gottes kann der Mensch für die Ewigkeit gerettet werden: Apg 4,12.
  • Es handelt sich um eine Offenbarung Gottes in seinen Wirkungsweisen (Energien – energeiai), nicht in seinem Wesen (ousia). Basilius der Große, Brief 234, 1: „Die Wirkungsweisen sind mannigfaltig, die Wesenheit ist einfach. Wir aber sagen, wir erkennten unsern Gott aus den Wirkungsweisen, versprechen aber nicht, an seine Wesenheit selbst heranzukommen. Seine Wirkungen steigen zu uns hernieder; seine Wesenheit aber bleibt unzugänglich.“ (Migne, Patrologia Graeca 32,869, übersetzt nach Bibliothek der Kirchenväter BKV I, 46,283).

(4.) Wie wird diese Offenbarung vermittelt?

  • Die vollständige übernatürliche Offenbarung hat sich ereignet in Christus, s.o.
  • Sie wird vermittelt in der Überlieferung der heiligen Apostel. [Griech. apostolos = Gesandter. Diese wurden von Christus selbst erwählt und ausgesandt: Lk 6,13.]
  • Die Überlieferung der Apostel (apostolische Tradition) wiederum wird auf zwei Weisen weitergegeben:
    • erstens in der von Gott eingegebenen Heiligen Schrift [2 Tim 3,16];
    • zweitens in der mündlichen Überlieferung der Kirche [2 Thess 2,15].
  • Die lebendige, mündliche Überlieferung der Kirche ist insbesondere bewahrt im Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel, den Entscheidungen der Sieben Ökumenischen Konzilien und der lokalen Synoden, in den Schriften der Kirchenväter und der Liturgie.
  • [Wo die Kirchenväter weitestgehend übereinstimmen, spricht man vom consensus Patrum. Dieses Kriterium für authentische, im besten Sinne „katholische“ Überlieferung findet man im berühmten Commonitorium von Vinzenz von Lérins (+434), wo es heißt: … magnopere curandum est ut id teneamus quod ubique, quod semper, quod ab omnibus creditum est; Hoc est etenim vere proprieque catholicum … – „… besonders ist dafür zu sorgen, dass wir das festhalten, was überall, immer und von allen geglaubt worden ist, denn das ist eigentlich und wahrhaft katholisch …“ – Migne, Patrologia Latina 50,640. Darüber mehr in III/1.]
  • [Dass die Liturgie auch eine Zeugin der apostolischen Überlieferung ist, entspricht der alten theologischen Regel: lex orandi, lex credendi, „das Gesetz des Betens ist das Gesetz des Glaubens“ — erstmals formuliert wohl von Prosper von Aquitanien (+455): legem credendi lex statuat supplicandi. – Migne, Patrologia Latina 51,209.]
  • Die mündliche Überlieferung der Kirche findet weiterhin Ausdruck in der ständigen offiziellen Lehre der Kirche, s.u. [1 Tim 3,15]

(5.) Wie verhalten sich Heilige Schrift und heilige Überlieferung zueinander?

  • Die heilige Schrift und die (oben definierte) heilige Überlieferung sind verschiedene Ausdrucksweisen von ein und derselben apostolischen Überlieferung.
  • Die Frage des Vorrangs stellt sich somit nicht: „beide haben dasselbe Gewicht für die Frömmigkeit“ (Basilius der Große, Über den Heiligen Geist 27, 2 – Migne, Patrologia Graeca 32,188).
  • „Dabei wird die Schrift in der Überlieferung verstanden, die Überlieferung aber bewahrt ihre Unverfälschtheit und das Kriterium ihrer Wahrheit durch die Schrift und aus deren Inhalt“ (Interorthodoxe vorbereitende Kommission der Heiligen und Großen Synode, 16. bis 28. Juli 1971; Chambésy 1973, Seite 110).

Fortsetzung folgt: I/2 Der Kanon der Heiligen Schrift