Katechetische Notizen zur orthodox-altkatholischen Lehre, III/3

Das I. Ökumenische Konzil zu Nizäa: Fresko, 12. Jh., St.-Nikolaus-Kirche Myra (Demre/Türkei)

III/3: Die Grenzen der Kirche

Die chalcedonensisch-orthodoxen und die altkatholischen Kirchen haben 1975–1987 einen umfassenden theologischen Konsens erarbeitet — mit dem Ziel einer kanonischen Vereinigung. Während sich etliche altkatholische Kirchen (besonders in Westeuropa) hiervon später distanziert haben, hält die Union von Scranton an diesem altkirchlichen Glauben nachdrücklich fest: Die Generalsynoden ihrer Mitgliedskirchen haben das orthodox-altkatholische Konsensdokument verbindlich ratifiziert (1990, 2007); die Bischöfe der Union von Scranton haben ihr Bekenntnis zu diesem Konsens und zum Ziel der kanonischen Vereinigung mit den chalcedonensisch-orthodoxen Kirchen 2016 einstimmig bestätigt. Wir dokumentieren hier weitere Notizen zur Katechesenreihe (von F. Irenäus Herzberg) über das Konsensdokument Koinonia auf altkirchlicher Basis (= IKZ 79/4 Beiheft, 1989, Hrsg. Urs von Arx). 

Bisher erschienen in der Katechesenreihe die folgenden Teile: 

(1.) Welche Rolle spielt die Kirche in Gottes Heilsplan?

  • Es ist Gottes Wille, „dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“ (1 Tim 2,4) Sein Heilsplan sieht vor, dass die Menschen nicht unabhängig von der Kirche gerettet werden, sondern in ihr und durch sie. Die Kirche ist der sichere Weg zum Heil und zum ewigen Leben.
  • Denn die Kirche ist die „Säule und Grundfeste der Wahrheit“ [1 Tim 3,15], und ihr wurden vom göttlichen Stifter die Mittel des Heils gegeben, indem in ihr der Heilige Geist bleibend wohnt [Joh 20,23].
  • Daher lehrt der heilige Irenäus von Lyon: „Wo die Kirche ist, da ist auch der Geist Gottes; und wo der Geist Gottes ist, dort ist die Kirche und alle Gnade; der Geist aber ist Wahrheit.“ (adv. haer. III, 24, 1. Migne PG 7, 966 = BKV² I, 3: 317)

(2.) Welche Folgen hat die Sündhaftigkeit des Menschen für die Kirche?

  • [Individuelle Folgen:] Nicht alle Menschen nehmen Gottes Angebot zur Rettung aus Gnade an; nicht alle schließen sich der Kirche an. [2 Thess 3,2] Und selbst unter denen, die sich äußerlich der Kirche anschließen, gibt es Menschen, die nicht die von Gott offenbarte Wahrheit bekennen. [1 Joh 2,19]
  • [Kirchengeschichtliche Folgen:] So wurde die Kirche Jesu Christi im Laufe der Geschichte in viele verschiedene Kirchen geteilt, die nicht mehr dasselbe lehren, sondern sich heute — auch in wesentlichen Punkten — teils widersprechen, da sie aus menschlicher Schwäche abgeirrt sind von der authentischen Glaubenslehre der Apostel.
  • [Theologiegeschichtliche Folgen:] Aus diesem Umstand zogen manche den falschen Schluss, dass die wahre, sichtbare Kirche des apostolischen Zeitalters heute nicht mehr bestehe, sondern in jeder Einzelkirche nur ein (kleinerer oder größerer) Teil der wahren Kirche erhalten geblieben sei — und daher keine dieser Einzelkirchen die wahre Kirche vollständig repräsentiere. [Diese Theorie ist insbesondere im englischsprachigen Raum verbreitet und dort als Verzweigungstheorie (branch theory) bekannt.]

(3.) Besteht denn die Kirche der Apostel und Kirchenväter auch heute noch? Falls ja, wo ist sie zu finden?

  • Ja, die wahre Kirche, die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche besteht seit den Tagen der Apostel auch heute noch ununterbrochen fort, und zwar in sichtbarer Form.
  • Die wahre Kirche ist dort zu finden, wo der Glaube, der Gottesdienst und die Verfassung der alten Kirche unverfälscht bewahrt werden – und zwar so, wie dies durch die Entscheidungen der Sieben Ökumenischen Konzilien und anerkannten Provinzialsynoden sowie die Schriften der Kirchenväter zum Ausdruck gebracht worden ist.
  • [In Verbindung mit der Lehre von der Einheit der Kirche, welche die Einheit des Episkopates miteinschließt, ergibt sich als Schlussfolgerung: Die wahre Kirche ist mit der Gemeinschaft der kanonischen chalcedonensisch-orthodoxen Kirchen zu identifizieren.]

(4.) Wie sind christliche Gemeinschaften anzusehen, die außerhalb der einen wahren, sichtbaren Kirche stehen?

  • Die häretischen Gemeinschaften und jene Gemeinschaften, die sich im Schisma befinden, sind keineswegs als Wirkstätten des Heils, die der wahren, sichtbaren Kirche vergleichbar wären, anzusehen.
  • Dennoch gilt Gottes Heilswille allen Menschen [1 Tim 2,4] und Seine Macht ist grenzenlos. Zudem heißt es im Evangelium: „Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben; wer aber dem Sohne ungehorsam bleibt, wird das Leben nicht zu sehen bekommen“ (Joh 3,36).
  • So betrachtet lassen sich die Grenzen der Kirche auch in einem weiteren Sinne verstehen: Es ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass sich auch dort noch Gottes Gnade zeigt, wo die Abkehr von der Wahrheit noch nicht vollständig ist, sondern wo man am Glauben an die allerheiligste Dreifaltigkeit und die Menschwerdung Gottes in Christus festhält. (Vgl. den Brief des Patriarchen Petrus III. von Antiochien an Patriarch Michael Keroularios von Konstantinopel, Migne PG 120,805.808.)

(5.) Welches Handeln ergibt sich daraus für die an Christus Gläubigen?

Alle Christgläubigen sind dazu aufgerufen,

  • das aufrichtige, geduldige und liebevolle Gespräch miteinander zu suchen und
  • für die Einheit im Glauben und die volle Gemeinschaft der Kirchen zu beten,
  • auf dass Gott alle Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit in ihrer Fülle und zur Einheit in Seiner Kirche führe.

[Die Bischöfe der Union von Scranton haben in einem gemeinsamen Brief Ende 2016 einstimmig bekräftigt, dass sie das — theologisch notwendige — Ziel eines kanonischen Anschlusses an die chalcedonensisch-orthodoxen Kirchen weiterhin verfolgen. Damit dies gelingen und nachhaltig Bestand haben kann, ist auf allen Ebenen (wie zuvor dargelegt) ein intensives Gespräch mit den orthodoxen Bistümern und Gemeinden vor Ort sowie anhaltendes Gebet erforderlich — für die Wiederherstellung unserer vollen Einheit mit der Kirche Christi, die den apostolischen Glauben stets rein bewahrt hat.]

Katechetische Notizen zur orthodox-altkatholischen Lehre, III/2

Lukaskloster (Böotien): Ignatius von Antiochien

III/2: Die Einheit der Kirche und die Ortskirchen

Die orthodoxen und die altkatholischen Kirchen haben zwischen 1975–1987 einen umfassenden theologischen Konsens erarbeitet — mit dem Ziel einer kanonischen Vereinigung. Während sich einige altkatholische Kirchen (besonders in Westeuropa) hiervon später distanziert haben, hält die Union von Scranton an diesem altkirchlichen Glauben weiterhin fest. Wir dokumentieren hier weitere Notizen zur Katechesenreihe (von Bischofsvikar F. Irenäus Herzberg) über das orthodox-altkatholische Konsensdokument Koinonia auf altkirchlicher Basis (= IKZ 79/4 Beiheft, 1989, Hrsg. Urs von Arx). 

Bisher erschienen in der Katechesenreihe die folgenden Teile: 

(1.) Welche Beziehung besteht zwischen der Kirche, dem Leib Christi und der Eucharistie?

  • Die Kirche ist der eine Leib Christi; in ihm sind die Gläubigen als Glieder mit Christus als dem Haupt und untereinander zu einer Einheit verbunden [1 Kor 12,12f.; Eph 4,15f.].
  • Diese Vereinigung wird durch das Sakrament der heiligen Eucharistie hervor- und zum Ausdruck gebracht: „Denn ein Brot ist’s. So sind wir, die vielen, ein Leib, weil wir alle eines Brotes teilhaftig sind.“ (1 Kor 10,17)

(2.) Welche Rolle spielen dabei die Ortskirchen?

  • Der Mittelpunkt des kirchlichen Lebens vor Ort ist gerade die Feier der heiligen Eucharistie unter dem rechtmäßigen Bischof und seinen Priestern: „Nur jene Eucharistie gelte als die gesetzmäßige, die unter dem Bischof vollzogen wird oder durch den von ihm Beauftragten.“ (Ignatius von Antiochien, ad Smyrn., 8, 1. Migne PG 8, 852 = BKV² I, 35: 150)
  • Die eine Kirche auf Erden lebt daher in der Vielzahl der Ortskirchen, jeweils unter ihrem rechtmäßigen Bischof.

(3.) Widerspricht die kulturelle Vielfalt der Ortskirchen der Einheit der Kirche?

Keineswegs:

  • Die Einheit im Glauben ist der höchste Grundsatz der Kirche.
  • Die Ortskirchen bilden eine Einheit, insofern sie den apostolischen Glauben einmütig, rein und unverfälscht bewahren.
  • Schon Irenäus von Lyon bezeugt eine frühe Form des Glaubensbekenntnisses und schreibt dazu: „Diesen Glauben bewahrt die Kirche, wie sie ihn empfangen hat, obwohl sie, wie gesagt, über die ganze Welt zerstreut ist, sorgfältig, als ob sie in einem Hause wohnte, glaubt so daran, als ob sie nur eine Seele und ein Herz hätte, und verkündet und überliefert ihre Lehre so einstimmig, als ob sie nur einen Mund besäße.“ (Irenäus von Lyon: adv. haer. I, 10, 2. Migne PG 7, 549.552 = BKV² I, 3: 33)

(4.) Ist die eine Kirche in den Ortskirchen nur jeweils teilweise präsent?

Nein:

  • Jede Ortskirche bildet als Eucharistie feiernde Gemeinschaft unter ihrem Bischof und seinen Priestern den ungeteilten Leib Christi an ihrem jeweiligen Ort.
  • Das Leben der einen Kirche wird den Ortskirchen von dem dreifaltigen Gott nicht geteilt gegeben, sondern jede Ortskirche besitzt es in Gänze.
  • Insofern manifestiert sich in jeder Ortskirche jeweils der ganze Christus: „ein Leib und ein Geist […]; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater aller“ (Eph 4,4–6).

(5.) Woran lässt sich die wesenhafte Einheit der Ortskirchen erkennen?

Die wesenhafte Einheit der Ortskirchen untereinander als die eine Kirche zeigt sich:

  • zuvörderst in der Einheit des Glaubens,
  • in der Einheit des liturgischen und sakramentalen Lebens,
  • in der Einheit der Grundprinzipen kirchenrechtlicher Ordnung,
  • in der Einheit unter ihren Bischöfen.

Die Einheit der Kirche ist ein Geschenk ihres Herrn, um das Er den Vater gebeten hat [Joh 17,17.21]. In der jetzigen Epoche der Heilsgeschichte wartet die Kirche allerdings noch auf ihre Vervollkommnung in der Liebe und die Erlösung von allem Übel wartet (Didache 10, 5. BKV² I, 35: 12); daher ist die geschenkte Einheit immer wieder neu gegen widergöttliche und spalterische Kräfte zu verteidigen.

(6.) Wie verwirklicht sich die Einheit der Ortskirchen praktisch?

Die Einheit der Ortskirchen verwirklicht sich praktisch durch:

  • gemeinsamen Empfang der heiligen Eucharistie durch ihre Glieder,
  • gegenseitige Besuche ihrer Vertreter und Austausch von Grußbotschaften,
  • wechselseitigen Beistand mit den jeweils eigenen Gaben und Gebet füreinander.

Dabei wird zugleich stets die Regel der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten beachtet. Im Laufe der Zeit haben die Ortskirchen in verschiedenen Weltgegenden auch umfassendere Kirchenprovinzen und Landeskirchen gebildet, denen jeweils ein Bischof vorsteht.

[Die Bildung solcher Kirchenprovinzen ist vorgeschrieben u.a. im Kanon 34 der sogenannten Apostolischen Kanones. Eine besondere Rolle spielen spätestens seit dem 3. Jahrhundert die Bischöfe von Großstädten (Metropolen), die Metropoliten. Unter diesen waren bis zum Vierten Ökumenischen Konzil (451) drei Metropolitansitze von herausgehobener Bedeutung: 1. Rom, 2. Alexandrien, 3. Antiochien. Diese Metropoliten hatten in ihren jeweiligen Regionen – Westeuropa, Nordafrika, vorderer Orient – eine kirchliche Vorrangstellung (vgl. z.B. Kanon 6 des Ersten Ökumenischen Konzils, Nizäa 325). Neben diesen drei Metropolitansitzen wurden auf dem Konzil von Chalkedon 451, begründet zum einen durch die Reichsteilung, zum anderen durch vermehrte Pilgerreisen ins Heilige Land seit Kaiserin Helena, Konstantinopel (Ost-Rom, hinter West-Rom) und Jerusalem (hinter Antiochien) in den Kreis der wichtigsten Bischofssitze erhoben; so entstand der Vorrang der fünf altkirchlichen Patriarchate (Pentarchie). Im Laufe der Ausbreitung des Christentums erlangten weitere Landeskirchen den höchsten Grad der kirchlichen Eigenständigkeit, nämlich die Befugnis zur eigenständigen Wahl und Weihe ihres jeweils leitenden Bischofs, genannt Autokephalie: zunächst Zypern (bereits 431), Georgien (erstmals vielleicht schon 486, sicher 1010), Serbien (erstmals 1219), Bulgarien (erstmals 927 und 1235) und Russland (de facto seit 1448, de jure seit 1593). In einigen Fällen ging die Eigenständigkeit zeitweise auch wieder verloren. Etliche weitere Landeskirchen wurden seit dem 19. Jahrhundert autokephal, insbesondere Rumänien (1885), zahlenmäßig heute die zweitgrößte chalcedonensisch-orthodoxe Kirche. Einige dieser Landeskirchen sind in den Kreis der Patriarchate aufgenommen worden, nämlich die Kirchen Russlands, Georgiens, Serbiens, Bulgariens und Rumäniens. Neben den autokephalen Landeskirchen gibt es diverse Kirchenprovinzen, die zwar einem Patriarchat unterstellt sind, aber Autonomie genießen: Auch diese Kirchen dürfen ihren leitenden Bischof selbst wählen; der Unterschied zur Autokephalie besteht darin, dass der so Erwählte vor Amtsantritt der Zustimmung seines Patriarchen bedarf. Beispielsweise ist die Kirche von Finnland eine autonome Teilkirche des Patriarchates von Konstantinopel (auch bekannt als Ökumenisches Patriarchat).]

[Das Patriarchat von Rom hingegen entfremdete sich insbesondere ab dem 11. Jahrhundert immer weiter von den übrigen Ortskirchen, veränderte 1014 einseitig das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel (325/381) durch Hinzufügung des Filioque im dritten Artikel (I/3, 3) und erhob immer weiter reichende kirchenrechtliche Ansprüche. Als der römische Papst Leo IX. (durch einen Legaten) im Jahre 1054 den Patriarchen von Konstantinopel Michael Kerularios exkommunizieren ließ und dieser darauf die päpstliche Delegation exkommunizierte (erst 1965 wechselseitig aufgehoben), kam es zu einem bleibenden Zerwürfnis. Die Kirche von Rom führte in der Folgezeit neben dem Filioque auch weitere neue Lehren ein und veränderte die kirchenrechtliche Ordnung, insbesondere durch die Dogmen von der Unfehlbarkeit päpstlicher Lehrentscheide und der universellen päpstlichen Rechtsgewalt (Infallibilität und Jurisdiktionsprimat; beschlossen 1870, bestätigt 1964). Trotz vereinzelter Annäherungen ist die Kirche von Rom somit seit vielen Jahrhunderten von der einen Kirche im engeren Sinne – der Gemeinschaft der rechtgläubigen apostolischen Ortskirchen – getrennt. An wichtigen Entscheidungen der Kirche, etwa zur Theologie des heiligen Gregor Palamas auf den Synoden von Konstantinopel 1341–1351, war sie nicht beteiligt.]

[Auch die altkatholischen Ortskirchen, die großenteils bis ins späte 19. Jahrhundert zur Kirche von Rom gehörten, sind seit vielen Jahrhunderten getrennt von der Gemeinschaft jener Ortskirchen, die den apostolischen Glauben unverfälscht bewahrt haben. Das 20. Jahrhundert brachte jedoch eine historische Wendung: Als Folge des orthodox-altkatholischen Dialoges haben die Kirchen der altkatholischen Union von Scranton wieder den altkirchlichen Glauben in seiner Fülle angenommen (ratifiziert durch die Generalsynode der Polnisch-katholischen Nationalkirche Nordamerikas 1990 und durch die Generalsynode der Nordisch-katholischen Kirche 2007). Damit sind sie den ersten Schritt gegangen auf dem Weg zur vollständigen Gemeinschaft mit der einen, ungeteilten Kirche der Apostel und Kirchenväter.]

(7.) Wie gelangen die Ortskirchen zu gemeinsamen Entscheidungen?

  • Gemeinsame Entscheidungen der Ortskirchen sind nötig bei Glaubensfragen und weiteren Fragen von gemeinsamem Interesse, welche die Zuständigkeit der Ortskirchen übersteigen.
  • Diese Entscheidungen werden von den Ortskirchen auf Synoden getroffen, wobei jeweils die kirchenrechtlich festgelegte Rangordnung der Ortskirchen bzw. ihrer Vorsteher beachtet wird.
  • In besonderer Weise geschieht dies auf der Ökumenischen Synode, auch als Ökumenisches Konzil bezeichnet, die in der katholischen Kirche die höchste Autorität darstellt, insofern sie als Stimme der Kirche gilt. [„Ökumenisch“ ist hier im ursprünglichen Sinne von ,die gesamte bewohnte Welt betreffend‘ zu verstehen.]
  • Ziel der synodalen Entscheidungen ist stets die Bewahrung und Förderung der Einheit in der Liebe.

Denn wie der Leib eine Einheit ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber trotz ihrer Vielheit einen Leib bilden, so ist es auch mit Christus. Denn durch einen Geist sind wir alle durch die Taufe zu einem Leibe zusammengeschlossen worden. […] Ihr seid Christi Leib, und jeder einzelne ist ein Glied daran nach seinem Teil.

1 Kor 12,12.13.27

Fortsetzung in Vorbereitung: III/3 Die Grenzen der Kirche

Notizen zur orthodox-altkatholischen Lehre, III/1–II: Eigenschaften der Kirche

Christus und die Apostel: Antependium, Kathedrale von Urgell/Katalonien, um 1200

Die orthodoxen und die altkatholischen Kirchen haben zwischen 1975–1987 einen umfassenden theologischen Konsens erarbeitet — mit dem Ziel einer kanonischen Vereinigung. Während sich einige altkatholische Kirchen (besonders in Westeuropa) hiervon später distanziert haben, hält die Union von Scranton an diesem altkirchlichen Glauben weiterhin fest. Wir dokumentieren hier weitere Notizen zur Katechesenreihe (von Bischofsvikar F. Herzberg) über das orthodox-altkatholische Konsensdokument Koinonia auf altkirchlicher Basis (= IKZ 79/4 Beiheft, 1989, Hrsg. Urs von Arx). 

Bisher erschienen in der Katechesenreihe die folgenden Teile: 

III/1–II. Wesentliche Eigenschaften der Kirche

(II.) Wo wird das Wesen der Kirche dogmatisch definiert, und mit welcher Formel?

Das Symbol (= Glaubensbekenntnis) des Zweiten Ökumenischen Konzils (Konstantinopel 381) lehrt, aufbauend auf dem Symbol des Ersten Ökumenischen Konzils (Nizäa 325), „die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“. Es wurde vom Vierten Ökumenischen Konzil (Chalkedon 451) bestätigt. [Mit dem Begriff „Ökumenisches Konzil“ ist hier eine Versammlung von Bischöfen aus der gesamten bewohnten Welt (oikoumene) gemeint, in Abgrenzung von den Provinzial- oder Regionalsynoden; gelegentlich verwendet man hierfür auch den Begriff „Ökumenische Synode“.]

(II.1.) In welchem Sinne ist die Kirche „eine“?

  • Die Kirche ist der Leib Christi und hat ein Haupt, nämlich Christus. Daher gibt es auch nur einen zu Christus gehörenden und vom Heiligen Geist beseelten Leib; in diesem Leib ist Christus mit allen Gläubigen als Gliedern vereinigt.
  • Die Ortskirchen als Teile dieses Leibes sind miteinander verbunden durch
    1. die Einheit des Glaubens,
    2. die Einheit des Gottesdiensts und
    3. die Einheit der Ordnung. [Vgl. Apg 2,42]
  • Durch den Glauben und Gottesdienst werden die Gläubigen mit Christus und untereinander verbunden; umgekehrt bringen sie ihre Verbindung durch das Bekennen desselben Glaubens und das Feiern des desselben Gottesdiensts (soweit dieser den Glauben zum Ausdruck bringt), zum Ausdruck.
  • Die Einheit der Ordnung zeigt sich
    • in den Grundsätzen, nach welchen die Leitung ausgeübt wird, und
    • in der Anerkennung eines Leitungsamts durch die Gläubigen, als Autorität gemäß Kirchenrecht, nämlich der Gemeinschaft der Bischöfe.

Widerspricht die Vielfalt der Sichtweisen in der Kirche ihrer Einheit?

Die gleichen ewigen Wahrheiten des Glaubens werden von den Gläubigen zuweilen auf verschiedene Weise erkannt. Darüber hinaus ist die Kirche oft geduldig mit verirrten Gliedern und schließt diese nicht sofort aus. In alledem liegt kein Widerspruch zur Einheit des Glaubens.

Worin gründet die Einheit der Kirche?

  • Die Kirche bildet als Leib Christi eine Einheit, in der die vielen Glieder vereinigt sind.
  • Der Herr hat für die Einheit der Kirche gebetet – und zwar als Einheit, die jener von Gott-Vater und Gott-Sohn entspricht (Joh 17,21).
  • Die Einheit der Kirche ist somit ein Abbild der Einheit der heiligen Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist.
  • Die Glieder der Kirche sind berufen, durch die Einheit ihres Willens dieses Abbild erkennbar werden zu lassen.

(II.2.) In welchem Sinne ist die Kirche „heilig“?

[Heiligkeit bedeutet in der Schrift: ausgesondert zu sein für Gott – und dadurch auch den sündhaften Zusammenhängen dieser Welt entrissen.] Die Heiligkeit der Kirche besteht in ihrer Verbindung mit Christus:

  • Er, der absolut Heilige, ist ihr Haupt und gibt ihr Anteil an Seinem göttlichen Leben.
  • Er hat sich für sie aufgeopfert und sie dadurch für sich geweiht. (Eph 5,25-27)
  • Er hat sie ausgesondert zum „Haus Gottes“. (1 Tim 3,15, Hebr 3,6)
  • Er hat alle ihre Glieder, nämlich das Volk Gottes, mit Seinem Blut besprengt und so geweiht und geheiligt (Hebr 13,12); diese heißen daher „Heilige“ (Apg 9,13).

Widerspricht die Sündhaftigkeit ihrer Glieder der Heiligkeit der Kirche?

  • Nein, da die Heiligkeit der Kirche in der Heiligkeit Christi gründet (siehe oben).
  • Die Behauptung, die Kirche bestehe nur aus vollkommen heiligen Menschen, ist eine irrige Übertreibung asketischer Strenge; sie wurde von den Kirchenvätern einmütig verurteilt [z.B. von Augustinus in Auseinandersetzung mit den Donatisten].

(II.3) In welchem äußeren Sinne ist die Kirche „katholisch“?

  • [„Katholisch“ heißt wörtlich: dem Ganzen gemäß, all-umfassend.]
  • Die Kirche hat den Herrn des Alls zum Haupt.
  • Dieser hat ihr verheißen, sie werde sich durch alle Zeiten, Nationen und Kulturen erstrecken (Mt 28,20, Mk 16,15, Apg 1,8 [Offb 7,9]).
  • Diesen äußeren Sinn der Katholizität nennt man auch „quantitativ“.

In welchem inneren Sinne ist die Kirche „katholisch“?

  • Die Kirche vertritt durch Raum und Zeit hindurch stets die gleiche Fülle der Lehre.
  • Sie bewahrt „was überall, was immer und was von allen geglaubt worden ist“ (Vinzenz von Lérins, Commonitorium 2, Migne PL 50, 640 [BKV I, 20, 165]).
  • Die katholische Kirche zu sein, heißt, die rechtgläubige [griechisch: „orthodoxe“], authentische und wahre Kirche zu sein. Dies ist der qualitative Sinn von Katholizität.

Wie kann die Katholizität der Kirche noch beschrieben werden?

In den Worten des heiligen Kyrill von Jerusalem (Katechesen 18, 23; Migne PG 33, 1044; BKV² I, 41, 351f.): „Die Kirche heißt katholisch, weil sie auf dem ganzen Erdkreis, von dem einen Ende bis zum anderen, ausgebreitet ist, weil sie allgemein und ohne Unterlass all das lehrt, was der Mensch von dem Sichtbaren und Unsichtbaren, von dem Himmlischen und Irdischen wissen muss, weil sie das ganze Menschengeschlecht, Herrscher und Untertanen, Gebildete und Ungebildete, zur Gottesverehrung führt, weil sie allgemein jede Art von Sünden, die mit der Seele und dem Leibe begangen werden, behandelt und heilt, endlich weil sie in sich jede Art von Tugend, die es gibt, besitzt, mag sich dieselbe in Werken oder Worten oder in irgendwelchen Gnadengaben offenbaren.“

(II.4) Inwiefern ist die Kirche „apostolisch“?

  • Der Herr der Kirche ist laut der Schrift (Hebr 3,1, vgl. Gal 4,4) selbst der erste „Apostel“ [d.h. ein von Gott dem Vater zu den Menschen Gesandter].
  • Die Kirche ist „aufgebaut auf dem Grund der Apostel und Propheten, wobei Christus Jesus selbst der Eckstein ist“ (Eph 2,20).

Lässt sich auch hier ein innerer und ein äußerer Sinn der Apostolizität unterscheiden?

  • So wie der Vater den Sohn in die Welt gesandt hat, sandte Christus die Apostel zur Verkündigung Seiner Lehre aus (Joh 20,21, Lk 10,16 [Mt 28,20]); die Apostel wiederum gaben den anvertraute Schatz der Wahrheit an ihre Nachfolger weiter.
  • Die Kirche ist apostolisch im inneren Sinn, da sie treu, unverkürzt und unverfälscht diese Lehre bis zum heutigen Tag weitergibt.
  • Die Kirche ist apostolisch im äußeren Sinn, da ihre Hirten und Lehrer, die Bischöfe, in einer ununterbrochenen Reihe der Nachfolge stehen, die bis auf die Apostel zurückreicht [= apostolische Sukzession].

Lassen sich die beschriebenen vier dogmatischen Eigenschaften der Kirche [notae ecclesiae] voneinander trennen?

Nein, denn sie bedingen einander notwendig und verbürgen zusammen die Unüberwindlichkeit [Mt 16,18] und Unfehlbarkeit der Kirche als „Säule und Grundfeste der Wahrheit“ (1 Tim 3,15).

Fortsetzung folgt: III/2 Die Einheit der Kirche und die Ortskirchen

Katechetische Notizen zur orthodox-altkatholischen Lehre, III/1–I: Grundlagen der Ekklesiologie

Pfingstwunder: Rabbula-Evangeliar (syrisch, 6. Jh.)

Im Folgenden dokumentieren wir hier weitere Notizen zur Katechesenreihe (von F. Irenäus Herzberg) über das orthodox-altkatholische Konsensdokument Koinonia auf altkirchlicher Basis (= IKZ 79/4 Beiheft, 1989, Hrsg. Urs von Arx). Bisher erschienen in der Reihe die folgenden Teile: 

III/1–I. Das Wesen der Kirche

[Vorbemerkung: Die Ausführungen zur Ekklesiologie (Kapitel III) im orthodox-altkatholischen Konsensdokument bilden dessen mit Abstand längstes Kapitel und nehmen ein ganzes Drittel des gesamten Dokuments ein. Die Ekklesiologie bildet gewissermaßen das Herzstück orthodoxer (und altkatholischer) Dogmatik — ja, deren inhaltlichen Angelpunkt: Die Ekklesiologie stellt das wesentliche Bindeglied zwischen Fundamentaltheologie, Gotteslehre sowie Christologie einerseits und Soteriologie, Sakramentenlehre sowie Eschatologie andererseits dar. Der erste und grundlegende Abschnitt des orthodox-altkatholischen Konsenstexts zur Ekklesiologie (Abschnitt III/1: „Wesen und Eigenschaften der Kirche“) ist noch einmal in zwei Teilabschnitte untergliedert. Im Folgenden sollen die Inhalte des ersten dieser beiden Unterabschnitte vorgestellt werden — wie gewohnt als inoffizielle Lesehilfe und Diskussionsbegleitung, welche die Beschäftigung mit den Originaltexten erleichtern, aber nicht ersetzen will.]

(I.1.) Lässt sich die Lehre von der Kirche unabhängig von Gotteslehre und Christologie behandeln?

Nein: Denn das Wesen der Kirche steht in engstem Zusammenhang mit der Selbstoffenbarung des dreifaltigen Gottes im Gott-Menschen Jesus Christus und im Heiligen Geist. [Ein primär soziologisches Verständnis der Kirche wird daher ihrem eigentlichen Wesen nicht gerecht.]

In welcher Form beschreiben Schrift und Überlieferung die Kirche ihrem Wesen nach?

In Schrift und Überlieferung findet sich keine allgemeine abstrakte Definition der Kirche. Vielmehr werden dort zahlreiche Bilder bzw. bildhafte Bezeichnungen derselben gegeben.

Welches sind Bilder und Bezeichnungen für die Kirche in der Schrift?

Die Kirche ist:

  • der „Leib Christi“ (1 Kor 12,13.27),
  • das „Volk Gottes“ (1 Petr 2,10),
  • das „Haus“ bzw. der „Bau“ oder „Tempel Gottes“ (1 Tim 3,15; 1 Kor 3,9.16),
  • die „königliche Priesterschaft“ (1 Petr 2,9),
  • die „Braut“ Christi (Mk 2,20, Offb 21,2),
  • der „Weinberg“ Gottes (Jes 5,7).

[Die Kirche ist somit nicht selbst schon das Gottesreich, sondern sie stellt dessen fortschreitende Verwirklichung dar. Das Reich Gottes wird erst am Ende der Zeiten bei Christi Wiederkunft seine vollendete Gestalt annehmen.]

Wie wird die Kirche in der Überlieferung beschrieben?

In der Überlieferung werden jeweils verschiedene Wesenszüge der Kirche betont; sie ist:

  • bischöflich geleitet,
  • priesterlich und charismatisch,
  • Gemeinschaft der Gläubigen,
  • Vereinigung der Rechtgläubigen aller Zeiten und
  • die im Gott-Menschen Christus geeinte Menschheit.

(I.2.) Wie ist die Kirche entstanden?

  • Die Kirche gründet als Gottesvolk in Gottes ewigem Ratschluss.
  • Die Kirche wurde bereits im Alten Bund vorgebildet und als dessen Erneuerung verheißen (Jes 2,2; Jer 31,31).
  • In der „Fülle der Zeit“ [Gal 4,4], am Angelpunkt der Heilsgeschichte, wurde die Kirche verwirklicht durch:
    • die Menschwerdung des Wortes Gottes in Christus Jesus,
    • Seine Verkündigung des Evangeliums,
    • Seine Berufung der Zwölf Apostel,
    • Seine Einsetzung des Heiligen Abendmahls,
    • Seinen Kreuzestod und Seine Auferstehung und
    • die Sendung des Heiligen Geistes durch Ihn am Pfingsttag.
  • [Für das richtige Verständnis der Kirche ist somit sowohl eine christologische als auch eine pneumatologische Perspektive bedeutsam. Das lutherische Verständnis der Kirche als creatura verbi beispielsweise steht in der Gefahr, die pneumatologische Dimension zu vernachlässigen.]

(I.3.) Was sind die beiden grundlegenden Aspekte des Wesens der Kirche?

  • Die Kirche ist der Leib Christi, ihr Haupt ist Christus selbst.
  • Die Kirche ist somit ein gottmenschlicher Organismus; ihr Leben besteht in der Verbindung der Glieder zum göttlichen Haupt und untereinander.
  • Als gottmenschlicher Organismus hat die Kirche einen göttliche, ewigen und daher unsichtbaren Aspekt, zugleich aber ist sie sichtbarer Teil der Geschichte; die Wanderung des Gottesvolks ist Teil der allgemeinen Menschheitsgeschichte.
  • Sichtbare Merkmale der Kirche sind:
    • das von den Aposteln her überlieferte Amt (und somit auch die Unterscheidung von Klerus und Laien),
    • die bleibenden Grundsätze der Lehre,
    • die feststehende Ordnung des Gottesdiensts.
  • Zur Kirche gehören sowohl die schon im Himmel Vollendeten als auch die noch auf Erden den „guten Kampf“ (2 Tim 4,6) kämpfenden Gläubigen.
  • [Für diese beiden Teile der Kirche kennt die lateinische Tradition die Begriffe ecclesia triumphans und ecclesia militans. Da die Orthodoxie keine allgemein anerkannte Lehre vom Reinigungsort hat – obgleich sich in der byzantinischen liturgischen Tradition manche Ansätze dafür finden –, wird die ecclesia expectans hier nicht eigens erwähnt.]

Was vollzieht sich in der Kirche an ihren Gliedern?

  • In der Kirche findet das neue Leben aus der Kraft Christi und gemäß Seiner Weisung statt – das Leben im Heiligen Geist.
  • In der Kirche wird allen Gliedern Anteil gegeben am göttlichen Leben Christi, welcher ja ihr Haupt ist, damit sie geheiligt und gerettet werden.
  • [Damit ist nicht ausgeschlossen, dass Gott in Seinem unergründlichen Ratschluss auch zuweilen außerhalb der Kirche wirken kann; wohl aber ist das Leben in und mit der Kirche der sichere Weg zum Heil.]

(I.4) Manche behaupten, die wahre Kirche sei unsichtbar oder sie sei ein unbestimmbares Ideal, dem keine Kirche auf Erden vollkommen entspräche.

  • Wie wir gesehen haben (I.3), hat die vom Herrn gegründete Kirche – neben einem unsichtbaren Aspekt – durchaus auch eine sichtbare Seite.
  • Aus diesem Grund ist die wahre Kirche auch kein unbestimmbares Ideal, sondern vielmehr eine sichtbare geschichtliche Größe mit definierbaren Merkmalen.
  • Dies zu leugnen [wie es in manchen protestantischen Traditionen geschieht], widerspricht sowohl der Heiligen Schrift als auch der Überlieferung – und stellt letztlich die Authentizität der in Christus ergangenen Offenbarung in Frage.

Sie hielten aber beharrlich fest an der Lehre der Apostel und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten.

Apg 2,42

Fortsetzung folgt: III/1–II Eigenschaften der Kirche

Katechetische Notizen zur orthodox-altkatholischen Lehre, II/3 (Mariologie)

[Verkündigung an die heilige Maria: Emmanuel Tzanfournaris 1575-1630]

Mit den besten Wünschen zum morgigen Hochfest der Verkündigung des Herrn und zur bevorstehenden Heiligen Woche dokumentieren wir hier weitere Notizen zur Katechesenreihe (von F. Irenäus Herzberg) über das orthodox-altkatholische Konsensdokument Koinonia auf altkirchlicher Basis (= IKZ 79/4 Beiheft, 1989, Hrsg. Urs von Arx). 

Bisher erschienen in der Reihe die folgenden Teile: 

II/3 Die Gottesmutter

Darf und soll die heilige Jungfrau Maria „Gottesgebärerin“ bzw. „Gottesmutter“ genannt werden?

Ja! Begründung:

  • Wie zuvor dargelegt (II/2, 1), sind in der Person (Hypostase) Jesus Christus die göttliche und die menschliche Natur vereinigt: er ist Gottmensch – wahrer Gott und wahrer Mensch. [Der Mensch Jesus von Nazareth war von seiner Empfängnis im Mutterleib an bereits das fleischgewordene Wort Gottes.]
  • Folglich hat die heilige Jungfrau Maria eben nicht bloß einen Menschen geboren, sondern den Gottmenschen. Daher gebührt ihr der Titel Gottesgebärerin (theotókos 3. Ökumenisches Konzil, Ephesos 431) – [und nicht nur jener der christotókos, d.h. Christusgebärerin, wie von der häretisch-nestorianischen Partei vorgeschlagen].
  • Der Titel der ,Gottesgebärerin‘ bzw. ,Gottesmutter‘ für die heilige Jungfrau Maria bringt die gesamte Erlösungslehre auf den Punkt [und gilt daher oft als Lackmustest bzw. Schibboleth der Rechtgläubigkeit]; dieser Titel „stellt das ganze Geheimnis des Heilsplanes dar“ (Johannes von Damaskus, Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens, III, 12; BKV I, 44: 142).

(1.) Wie vereinte sich der Erlöser mit dem menschlichen Geschlecht?

  • Die Allmacht Gottes bewirkte durch den Heiligen Geist die Empfängnis der heiligen Jungfrau Maria, mithin ihre wahre Mutterschaft, als die „Kraft des Höchsten [sie] überschattete“ (Lk 1,35).
  • Das göttliche Wort nahm die menschliche Natur mit Leib und Seele an und wurde Fleisch (Joh 1,14).

Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Einheit der Person Christi und dem Titel der Gottesmutterschaft Mariens?

Beide Glaubenswahrheiten stehen in einem engen logischen Zusammenhang:

  • Die unvermischte Vereinigung der göttlichen und der menschlichen Natur in dem einen Herrn Jesus Christus kommt dadurch zustande, dass Gott das Wort bei der Empfängnis der Jungfrau aus ihr einen Tempel nimmt und mit sich selbst vereinigt. (Formula unionis von 433 der antiochenischen und der alexandrinischen Partei)
  • Weil die göttliche und die menschliche Natur unvermischt vereinigt wurden, können wir sagen: Unser Herr Jesus Christus ist der eine Sohn Gottes, „aus dem Vater gezeugt der Gottheit nach, […] aus der Jungfrau [geboren] der Menschheit nach.“ (4. Ökumenisches Konzil, Chalkedon 451)

(2.) Was meint die Jungfräulichkeit der heiligen Maria?

  • Es ist damit nicht nur die Jungfräulichkeit bei der Empfängnis, sondern auch bei (!) [virginitas in partu] und nach der Geburt [virginitas post partum] gemeint.
  • Schon der heilige Ignatius von Antiochien nennt die Geburt der Jungfrau Maria [neben ihrer jungfräulichen Mutterschaft und dem Tod des Herrn] eines von „drei laut rufenden Geheimnissen“ (ad Eph. 19, BKV I, 35: 124)
  • Die Väter des 4. Ökumenischen Konzils sprechen gegenüber Kaiser Markian vom „herrlich versiegelten“ Leib der Jungfrau Maria; die Entscheidungen des [5.und] 7. Ökumenischen Konzils ehren sie als „stete Jungfrau“ [aeiparthenos].
  • Schon der heilige Augustinus lehrt: „Eine Jungfrau empfing, eine Jungfrau gebar und blieb auch nach der Geburt Jungfrau“ (de symb. ad cat. 1,3; BKV I, 37: 359). [Dass eine solche Merkformel Eingang in einen katechetischen Diskurs findet, deutet ebenso wie die Aussage der Väter des 4. Ökumenischen Konzils auf eine sehr gefestigte Tradition hierzu schon im 5 Jahrhundert hin.]
  • [Die virginitas in partu Mariens widerspricht natürlich – ebenso wie die leibhaftige Auferstehung – dem im 19. und frühen 20. Jahrhundert üblichen deterministischen Verständnis der Naturgesetze. Hierzu ist das Folgende zu sagen. (a) Seit mehr als einem Jahrhundert erklärt die Physik das Verhalten von Materie mit dem Welle-Teilchen-Dualismus, wobei nach herrschender Meinung (Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik) der Ortsvektor von Teilchen eine Zufallsvariable ist (vgl. Tunneleffekt); demzufolge sind die genannten wundersamen Phänomene zwar statistisch extrem unwahrscheinlich, aber nicht einmal physikalisch ausgeschlossen. (b) Da es hier um einmalige Ereignisse der Heilsgeschichte geht, deren Wiederholbarkeit die Kirche ja gerade bestreitet, kommt ein bloß statistisch begründeter Zweifel an ihnen einer petitio principii nahe. (c) Philosophisch ist zudem zu sagen, dass selbst eine physikalische Unmöglichkeit keine metaphysische oder gar logische ist. (d) Theologisch ist unabhängig von Punkt (a) zu bemerken: Selbst unter der Annahme eines deterministischen Weltbildes wird die Gesetzmäßigkeit der Schöpfung durch einige wenige Suspendierungen der physikalischen Kräfte keineswegs so weit beeinträchtigt, dass daraus ein anderes Gottesbild entstünde.]
  • [Ähnlich kann auch eine Apologie der jungfräulichen Geburt entfaltet werden. Das Inkarnationsdogma ist somit nicht unvernünftig, sondern übervernünftig, wenngleich für den begrenzten menschlichen Verstand stets offene Fragen bleiben werden.]
  • [Mt 1,25 widerspricht der virginitas post partum nicht, da es hier nur um die Geburt Jesu geht; die Präposition heôs deutet eine Mindestdauer, keine Höchstdauer an.]
  • [Der semitische Sprachgebrauch bezeichnet Cousins und entferntere männliche Verwandte ebenfalls als „Brüder“. Die im Neuen Testament mehrfach bezeugten „Brüder Jesu“ müssen daher nicht dieselbe Mutter wie er gehabt haben, sie könnten Cousins oder Stiefbrüder (Kinder des heiligen Josef aus einer früheren Ehe) sein.]

(3.) Wofür verehrt die Kirche die Gottesmutter, was sind ihre Titel?

  • Die Kirche zollt der heiligen Maria große Verehrung [doulia, hyperdoulia]; wirkliche Anbetung [latreia] aber gebührt nur Gott.
  • Sie ehrt die Gottesmutter als auserwähltes Gefäß, insofern sie das Wort Gottes gläubig, demütig und gehorsam angenommen hat.
  • Sie ist Begnadete, Erste der Heiligen [panagia, Allheilige], Allreine, insofern lässt sich bei ihr von einer relativen Sündlosigkeit aus Gnaden sprechen, „zumal von der Herabkunft des Heiligen Geistes auf sie an“ (Koinonia, 57).
  • Absolute Sündlosigkeit eignet jedoch nur dem Herrn Jesus Christus.

Wie steht die Kirche zu den neuzeitlichen Mariendogmen?

  • Das Dogma der Unbefleckten Empfängnis Mariens [passiv!, d.h. von der heiligen Anna] wird mit Blick auf die Form der Dogmatisierung (päpstlicher Lehrentscheid) abgelehnt. Inhaltlich wird es so weit zurückgewiesen wie damit eine absolute Sündlosigkeit der heiligen Jungfrau Maria gelehrt werden soll (siehe oben II/3, 3) .
  • [Im Offiziellen Kommentar zur Erklärung von Scranton wird die immaculata conceptio zwar nicht als Dogma, aber doch als wiederkehrender Bestandteil kirchlicher Lehre – auch der eigenen Kirche – gewürdigt (SYNODOS 3: 22). Hierzu werden allerdings keine Quellen genannt. Es ist jedoch bekannt, dass schon Thomas von Aquin (Summa theologiæ III, q. 27, a. 1) – übereinstimmend mit der herrschenden Meinung ostkirchlicher Theologen – lehrte: Die heilige Maria wurde noch im Mutterleib durch den Heiligen Geist von der Erbsünde gereinigt (und vor Tatsünden bewahrt). Allerdings räumt auch Thomas ein, dass diese Reinigung erst stattfand, nachdem sie bereits – somit erlösungsbedürftig – ins Dasein getreten war (a. 2). Ferner lehrt er, dass sie nach der Verkündigung der Geburt des Herrn abermals gereinigt wurde (a. 3), so wie es ja auch der heilige Johannes von Damaskus bezeugt (Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens, III, 2, PG 94, 985B = BKV² I, 44: 115).]
  • Das zweite neuzeitliche römisch-katholische Mariendogma lehrt, die heilige Jungfrau Maria sei am Ende ihres irdischen Lebens mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden. Dieses Dogma lehnt die Kirche ebenfalls im Hinblick auf die Form der Dogmatisierung ab. Zugleich ist sie überzeugt, dass die heilige Jungfrau Maria in großer Seligkeit entschlafen ist und feiert daher den Tag ihres Heimgangs.
  • [Der Offizielle Kommentar zur Erklärung von Scranton hält zudem daran fest, dass die Aufnahme Mariens im obigen Sinne wiederkehrender Bestandteil kirchlicher Lehre – auch der eigenen Kirche – ist (SYNODOS 3: 22). Auch hier werden keine Quellen genannt. Gleichwohl berichtet bereits das Alte Testament bekanntermaßen von Henoch und Elija eine leibliche Aufnahme in den Himmel. Dass diese Gnade auch der Mutter des Erlösers der Menschheit zuteil wurde, ist daher nur plausibel. Da die Überlieferung dazu jedoch nicht eindeutig ist, erkennen Orthodoxe und Altkatholiken hierin auch keinen unumstößlichen Glaubenssatz.]

(4.) Darf die Gottesmutter als „Mittlerin“ angerufen werden?

Nein:

  • Die heilige Maria leistet stets Fürbitte für die Kirche bei ihrem Sohn und wird daher in der (byzantinischen) liturgischen Tradition auch als „Vermittlerin“ (mesítria) bezeichnet.
  • Sie ist aber weder „Mittlerin“ (commediatrix), noch „Miterlöserin“ (corredemptrix)!
  • [Mittler und Erlöser ist allein der Gottmensch: unser Herr Jesus Christus.]

Fortsetzung folgt: III/1–I Wesen der Kirche (Grundlagen der Ekklesiologie)

Katechetische Notizen zur orthodox-altkatholischen Lehre, II/1–2 (Christologie)

[Christus mit Abba Mina: koptische Ikone, 8. Jahrhundert]

Mit herzlichen Segenswünschen für das Jahr 2021 an alle Leserinnen und Leser dokumentieren wir hier weitere Notizen zur Katechesenreihe (von F. Irenäus Herzberg) über das orthodox-altkatholische Konsensdokument Koinonia auf altkirchlicher Basis (Hrsg. Urs von Arx; Sonderheft zu IKZ 79/4, 1989). 

Bisher erschienen in der Reihe die folgenden Teile: 

II Christologie

II/1 Die Menschwerdung des Wortes Gottes

(1.) Wie ist Gott (der Sohn) Mensch geworden?

  • Der einzige Sohn Gottes, der zugleich das einzige Wort Gottes ist, wurde ein Mensch, indem Er „zu unserem Heil herabgestiegen ist vom Himmel und Fleisch geworden vom Heiligen Geist aus Maria, der Jungfrau“ (Nizänum).
  • Der ewige und zeitlose Gott trat also als ein Mensch, nämlich Jesus Christus, in die Geschichte ein.
  • Es war Gottes Absicht, „das Menschengeschlecht wieder zu einen, in sich als seinem Haupt“ (Kyrill von Alexandrien, PG 76,17).

Ist „Gott-sein“ und „Mensch-sein“ ein Widerspruch?

Nein, denn Jesus Christus ist sowohl vollkommener Gott als auch vollkommener Mensch:

  • Ihm eignet alles, was auch der Vater hat; ausgenommen ist nur die hypostatische Eigenschaft des Ungezeugtseins.
  • Zugleich ist Jesus Christus ein Mensch mit Leib und Seele so wie wir.

Was unterscheidet Jesus Christus von den übrigen Menschen?

Seine Sündlosigkeit [vgl. Hebr 4,15] und seine übernatürliche Geburt:

  • Seine Fleischwerdung geschah durch den Heiligen Geist aus der Jungfrau Maria.
  • Er war von der Erbsünde und jeder persönlichen Sünde frei.

(2.) Wie verhalten sich göttliche und menschliche Natur Jesu Christi zu einander?

Auf der Grundlage der Heiligen Schrift und der heiligen Überlieferung lehrt die Kirche: Göttliche und menschliche Natur sind auf hypostatische, personale Weise vereinigt worden, nämlich in der Hypostase oder Person Gottes des Wortes. Von dieser Vereinigung lehrt das Vierte Ökumenische Konzil, dass sie „ungeschieden, ungetrennt, unvermischt und unverändert“ ist. [Diese Beschreibung, die mit der Methode negativer (apophatischer) Theologie gewonnen wurde, zeigt in ihrer paradoxen Spannung die Grenzen menschlichen Verstehens des Heilsgeheimnisses, wird aber unten näher expliziert.]

Wie lässt sich die Vereinigung der Naturen in Jesus Christus näher beschreiben?

  • Jesus Christus ist Gottmensch. Die Kirche lehrt, dass er eine göttliche Person in zwei Naturen ist, mit zwei Willen und Wirkweisen (energeiai).
  • Dies ist jedoch so zu verstehen, dass die Wirkweisen selbst gottmenschlich sind, da eine wechselseitige Durchdringung und Einwohnung [Perichoresis] der Naturen, Willen und Wirkweisen stattfindet. Christus „wirkte nämlich weder das Menschliche [bloß] auf menschliche Weise, er war ja nicht bloßer Mensch, noch das Göttliche bloß auf göttliche, er war kein bloßer Gott, sondern Gott und Mensch zugleich.“ (Johannes von Damaskus, de fide orthodoxa, PG 94, 1060 = BKV 1. Reihe Bd. 44 [München 1923], 173)

(3.) Welche Folge hat die hypostatische Vereinigung der beiden Naturen für die heilige Dreifaltigkeit?

Zweierlei:

  1. Zwar hat sich in Christus die ganze göttliche Natur mit der menschlichen vereinigt. Dennoch wurde nicht die ganze heilige Dreifaltigkeit Mensch, sondern nur die zweite Person.
  2. Die Menschwerdung hat keinen Wandel und keine Veränderung in Gott selbst gezeigt; dieser ist unwandelbar und unveränderlich.

(4.) Welche Folgen hat die hypostatische Vereinigung für die Person Jesu Christi?

  1. Die wechselseitige Durchdringung und Einwohnung bedingt auf Grund der Einheit der Person Jesus Christus eine wechselseitige Mitteilung der Eigentümlichkeiten [communicatio idiomatum] der göttlichen und der menschlichen Natur.
  2. Auch die menschliche Natur Christi wird vergottet (theosis), obgleich sie „in der ihr eigenen Grenze und ihrer Art“ (Sechstes Ökumenisches Konzil, Konstantinopel 680/1) verbleibt.
  3. Christus ist sündlos.
  4. Christus kann auch seiner menschlichen Natur nach angebetet werden, denn die Anbetung gilt der Person des Herrn, welche gottmenschlich ist.
  5. Der Herr, den die heilige Jungfrau Maria geboren hat, ist eine einzige gottmenschliche Person; folglich ist sie wahrhaft Gottesgebärerin und in diesem Sinne auch Gottesmutter.

(5.) Kann man die Inkarnation umfassend mit dem Verstand begreifen?

Nein: Die Menschwerdung des ewigen Wortes Gottes ist ein unbegreifliches Geheimnis. Sie ist zudem ein Akt unfassbarer göttlicher Liebe. Die menschliche Antwort darauf muss zuvörderst in gläubigem Vertrauen bestehen.

— — —

II/2 Die hypostatische Union

Was meint die hypostatische Union?

Die hypostatische Vereinigung meint die Vereinigung der zwei Naturen, nämlich der göttlichen und der menschlichen, in der einen Person (oder Hypostase) Jesus Christus.

(1.) Wann ist es zur hypostatischen Union gekommen, wer oder was genau wurde dabei vereinigt?

  • Durch die Hypostase (oder Person) Gottes des Wortes – im Unterschied zu Gott dem Vater und dem Heiligen Geist – vereinigte sich die göttliche Natur mit der menschlichen.
  • Diese Vereinigung fand nicht mit dem ganzen Menschengeschlecht statt, sondern mit einer individuellen und vollständigen menschlichen Natur.
  • Diese individuelle menschliche Natur hatte jedoch keine Existenz außerhalb der Person Jesu Christi. Vielmehr trat diese menschliche Natur erst in dem Moment ins Dasein, als die Fleischwerdung Gottes des Wortes geschah, nämlich durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria.
  • Ab diesem Moment war diese individuelle menschliche Natur auch zugleich mit der göttlichen Natur in der Hypostase oder Person Gottes des Wortes vereinigt. Die individuelle menschliche Natur, die Gott das Wort angenommen hat, hatte nie eine andere Hypostase als die des Gottmenschen Jesus Christus.

(2.) Darf man sich die hypostatische Union als Vermischung der Naturen vorstellen?

  • Nein. Man spricht deshalb auch von einer Hypostase „in zwei Naturen“ und nicht „aus zwei Naturen“, da es sich nicht um eine Vermischung der Naturen handelt. Vielmehr bleibt die Eigentümlichkeit der beiden Naturen auch nach ihrer Vereinigung gewahrt.
  • Die Vereinigung fand im Augenblick der Empfängnis durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria statt, wobei es weder zu einer Vermischung noch zu einer Trennung der Naturen kam. Die Vereinigung ist in Ewigkeit unauflöslich: „Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit“ (Hebr 13,8)

(3.) Hatte Jesus Christus nur einen Willen oder gar einen geteilten Willen?

  • Nein: Beide Naturen wollen und wirken jeweils auf eigene Weise das ihrer Art entsprechende.
  • Jesus Christus hat sowohl einen menschlichen als auch einen göttlichen Willen, eine menschliche und eine göttliche Wirkungsweise (energeia), ferner auch menschliches und göttliches Wissen.
  • Allerdings folgt der schwache menschliche Wille dem starken göttlichen Willen durch Unterordnung. Das Wollen und Wirken der menschlichen Natur findet in Gemeinschaft mit der göttlichen Natur statt. Ja: Das Wollen und Wirken beider Naturen geschieht stets „in Einheit … zum Heil des Menschengeschlechts zusammenwirkend “ (Sechstes Ökumenisches Konzil, Konstantinopel 680/1).

War der menschliche Wille Jesu Christi also aufgehoben?

  • Nein, „der vergottete menschliche Wille wurde nicht aufgehoben, sondern blieb vielmehr bestehen“ (ebd.).
  • Das Wollen und Wirken der beiden Naturen geschieht in der je eigenen (göttlichen oder menschlichen) Weise, gleichwohl stets in Gemeinschaft mit der jeweils anderen Natur.
  • [So erklärt sich auch die Lehre des heiligen Kyrill von Alexandrien, wonach es „nur eine fleischgewordene Natur des Wortes Gottes“ (mia physis tou theou logou sesarkomenè) gibt und die beiden Naturen nur gedanklich, d.h. in der „Theorie“ bzw. der menschlichen Vorstellung (tè theoría mónè), zu unterscheiden sind. Auf dieser Basis wurde zwischen den chalcedonensisch-orthodoxen und den orientalisch-orthodoxen Kirchen 1990 in Chambésy/Genf ein christologischer Lehrkonsens erreicht.]

Fortsetzung folgt: II/3 Die Gottesmutter (Mariologie)

Katechetische Notizen zur orthodox-altkatholischen Lehre I/3

Ikone der allerheiligsten Dreifaltigkeit: Andrej Rubljow (1360-1430)
[Das Motiv greift den Besuch der drei Engel bei Abraham zu Mamre auf, vgl. Gen 18]

Wir dokumentieren hier in unregelmäßigen Abständen die Notizen zur Katechesenreihe (von Bischofsvikar Prof. Herzbergüber das orthodox-altkatholische Konsensdokument Koinonia auf altkirchlicher Basis (Hrsg. Urs von Arx; Sonderheft zu IKZ 79/4, 1989). Zuvor erschienen die Teile I/2 Der Kanon der Heiligen Schrift und I/1 Die göttliche Offenbarung und ihre Überlieferung (mit Vorbemerkungen).

I/3 Die Heilige Dreifaltigkeit

Was bekennen wir von dem Wesen Gottes?

  • Wir bekennen
    • einen Gott [Monotheismus],
    • in drei Seinsweisen, auch genannt Hypostasen (griechisch) [bzw. lateinisch Personen;gemeint ist hier aber nicht der alltägliche Personenbegriff, eine persona in diesem Sinne ist nicht notwendigerweise auch ein Individuum!],
    • nämlich der Vater, der Sohn [= „das Wort“, vgl. Joh 1,1] und der Heilige Geist.
  • Der Vater hat den Sohn „geliebt vor Grundlegung der Welt“ (Joh 17,24) und sich offenbart im Heiligen Geist, der die Liebe personifiziert (Mt 3,16f, Gal 4,6); in diese Gemeinschaft der Liebe will Gott uns mit hinein nehmen (Joh 17,26, Gal 4,6).
  • Diese Drei-Einheit ist also ein Geheimnis der Liebe und wird nur in Liebe erkannt; denn Gott ist Liebe (1 Joh 4,8).

(1.) Was verstehen wir unter der heiligen Dreifaltigkeit?

  • Gott ist dem Wesen (griechisch ousia, lateinisch substantia) nach einzig, aber dreifaltig nach den Seinsweisen (Hypostasen) bzw. Personen (wobei „Person“ hier, wie oben bemerkt, im ursprünglichen lateinischen Sinne zu verstehen ist).
  • Vater, Sohn und Heiliger Geist sind ewige und anfangslose Personen (im ursprünglichen lateinischen Sinne, also nicht als Individuen!), die jedoch ungeschieden in dem einen Wesen Gottes miteinander geeint sind.
  • Deshalb „beten wir an die Einheit (monas) in der Dreiheit (Trias) und die Dreiheit in der Einheit, in ihrer paradoxen Unterschiedenheit und Einigkeit (enosis)“ (Gregor von Nazianz, Migne PG 35,1221).

(2.) Worin besteht die Einheit der Hypostasen der heiligen Dreifaltigkeit?

  • Die Einheit besteht:
    • einerseits aufgrund der Einheit und Identität des göttlichen Wesens;
    • andererseits aufgrund der Einheit und Identität der Eigenschaften, der Energien (Wirkweisen) und des Willens.
  • Der Vater ist der eine Ursprung und Grund von Sohn und Heiligem Geist.
  • Die drei göttlichen Hypostasen sind eines Wesens und durchdringen einander ohne Vermischung, ohne Teilung des Wesens und ohne rangmäßige Unterordnung.
  • „Die Wesensgleichheit aber und das Durchdringen der Hypostasen und die Identität des Willens, der Wirksamkeit, der Kraft, der Macht und der Tätigkeit lassen uns sozusagen die Untrennbarkeit und Einheit Gottes erkennen. Denn nur einer ist in Wahrheit Gott, der Gott[-Vater] und das Wort und sein Geist.“ (Johannes von Damaskus, Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens, I, 8; BKV I, 44: 23).

(3.) Worin besteht die Verschiedenheit der Hypostasen?

  • Vorab: Die drei Hypostasen (Personen) haben gleiche Fülle der Gottheit; die Einheit und Unzertrenntheit des göttlichen Wesens bleibt dabei gewahrt, da die Hypostasen (Personen) zwar zu unterscheiden sind, aber doch ungeschieden sind!
  • Die Unterschiede der Hypostasen bestehen in den ewigen Beziehungen untereinander:
    • Der Vater zeugt von Ewigkeit her den Sohn und lässt den Heiligen Geist hervorgehen. Er ist „Wurzel und Quelle des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Basilius der Große, 24. Predigt, gegen die Sabellianer, Arius und die Anomöer, Migne PG 31, 609).
    • Der Sohn hat also seinen Grund im Vater, denn er ist ja „vor aller Zeit“ (Credo) durch diesen gezeugt,
    • und auch der Heilige Geist hat seinen Grund im Vater, denn er ist ja aus diesem hervorgegangen – wiederum anfangslos und zeitlos;
    • der Vater aber hat keinen Ursprung oder Grund (griechisch aitios), er ist sich selbst Grund.
  • Der Vater ist ungezeugt und ursprungslos, der Sohn ist gezeugt, der Heilige Geist hervorgebracht – allein in diesen unmittelbaren Eigenschaften besteht der geheimnisvolle und doch wirkliche Unterschied der drei Hypostasen.
  • So beschreibt es Johannes von Damaskus: „Nur in diesen persönlichen Eigentümlichkeiten unterscheiden sich die heiligen drei Personen voneinander. Nicht durch die Wesenheit, sondern durch das Merkmal der eigenen Hypostase sind sie ohne Trennung unterschieden.“ (Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens, I, 8; BKV I, 44: 22)
  • Ebenso: „Unterscheidungsweise [sind in Bezug auf die göttlichen Personen] die Ausdrücke: Vater, Sohn, Geist, […], ungezeugt, gezeugt und hervorgegangen [zu gebrauchen]. Denn diese bezeichnen nicht das Wesen, sondern die gegenseitige Beziehung und die Seinsweise.“ (Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens, I, 10; BKV I, 44: 29)

In welchem Sinne geht der Heilige Geist allein vom Vater aus?

  • Der ewige Ausgang des Heiligen Geistes, sprich: sein Hervorgehen, geschieht allein vom Vater (Joh 15,26).
  • Davon zu unterscheiden ist die Aussendung des Heiligen Geistes in die Welt, denn diese geschieht vom Vater durch den Sohn (Joh 15,26) bzw. vom Vater in des Sohnes Namen [Joh 14,26].
  • Dann – und nur dann –, wenn man unter ,Ausgang‘ lediglich die zeitliche Sendung des Geistes in die Welt versteht, kann man von einem Ausgang des Geistes aus dem Vater durch den Sohn bzw. einen Ausgang des Geistes aus dem Vater und dem Sohn sprechen.

Was lehrt Johannes von Damaskus über die Beziehung des Heiligen Geistes zum Vater und zum Sohn?

  • „Gleicherweise glauben wir auch an ,an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater hervorgeht‘ (Credo) […] Er geht vom Vater aus, wird durch den Sohn mitgeteilt und von jeglichem Geschöpf empfangen.“ (Johannes von Damaskus, Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens, I, 8; BKV I, 44: 21-22)
  • „Dagegen behaupten wir nicht, dass er aus dem Sohne ist. […] Auch bekennen wir, dass er uns durch den Sohn geoffenbart worden ist und mitgeteilt wird.“ (Johannes von Damaskus, Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens, I, 8; BKV I, 44: 27).
  • „Der Heilige Geist ist der [Geist] Gottes und des Vaters, insofern er aus ihm hervorgeht; ferner wird er auch [Geist] des Sohnes genannt, insofern er durch ihn erschienen ist und der Schöpfung mitgegeben wird, aber nicht aus ihm das Dasein hat.“ (Johannes von Damaskus, Predigt zum Karsamstag, Migne PG 96, 605).

Was ist das Filioque – und was lehren die altkatholischen Kirchen dazu?

  • [Filioque ist lateinisch „und dem Sohn“ und meint den entsprechenden Zusatz im dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses des Konzils von Nizäa-Konstantinopel (381) [ratifiziert auf dem Konzil von Ephesus 431], wo es heißt: „Wir glauben an den Heiligen Geist, … der aus dem Vater [!] hervorgeht.“ Die Konzilsväter hatten zu Beginn des dritten Artikels offenbar – so wie auch jeweils zu Beginn der ersten beiden Artikel des Credo (die sich mit dem Vater und dem Sohn befassen) – die ewigen Beziehungen der göttlichen Hypostasen bzw. Personen im Blick.]
  • [Ähnliche Formulierungen wie das filioque finden sich zwar auch bei älteren lateinischen Vätern, im Credo begegnet es aber erst im 5. Jahrhundert in Spanien, wo die Gottheit des Sohnes (gegen die Arianer) verteidigt werden musste. Die fränkischen Herrscher forderten seine Einführung in der ganzen westlichen Kirche; der römische Papst aber widersprach noch 809!]
  • „Wir lehnen darum den Zusatz des filioque, der im Westen während des 11. Jahrhunderts ohne Anerkennung durch ein ökumenisches Konzil gemacht wurde, mit Entschiedenheit ab. Diese Ablehnung bezieht sich nicht nur auf die unkanonische Weise der Hinzufügung, trotzdem schon diese Form einen Verstoß gegen die Liebe als das Band der Einheit darstellt. Wir weisen vielmehr entschieden auch jede theologische Lehre ab, die den Sohn zur Mitursache des Geistes macht.“ (Glaubensbrief der Internationalen Altkatholischen Bischofskonferenz an den Ökumenischen Patriarchen Athenagoras I., IKZ 61 (1971), Nr. 2: 66)
  • „Ferner halten wir daran fest, dass es in der allerheiligsten Dreifaltigkeit nur ein Prinzip und eine Quelle gibt, nämlich den Vater.“ (Erklärung der Internationalen Altkatholischen Bischofskonferenz zur Filioque-Frage, IKZ 61 (1971), Nr. 2: 66)

Fortsetzung folgt: II/1–2 Christologie.

Katechetische Notizen zur orthodox-altkatholischen Lehre I/2

Papyrus 75 (Bodmer XIV-XV): Beginn des Johannesevangeliums, ca. 200 n.Chr.

Wir dokumentieren hier in unregelmäßigen Abständen die Notizen zur Katechesenreihe (von Bischofsvikar F. Herzbergüber das orthodox-altkatholische Konsensdokument Koinonia auf altkirchlicher Basis (Hrsg. Urs von Arx; Sonderheft zu IKZ 79/4, 1989). Zuvor erschien Teil I/1 Die göttliche Offenbarung und ihre Überlieferung (samt einigen Vorbemerkungen).

I/2 Der Kanon der Heiligen Schrift

Wie gliedert sich die Heilige Schrift?

  • In die „Bücher“ des Alten Testaments und des Neuen Testaments.
  • [Lateinisch testamentum = Bund, vgl. z.B. 2 Kor 3,14 laut Vulgata – d.i. Hieronymus‘ Bibelübersetzung (382-405, als man Griechisch in Rom nicht mehr verstand).]

Was galt der frühen Kirche als Bibel des Alten Bundes (Testaments)?

  • Die Bibel der ersten Christen, sowohl hellenistischer Judenchristen als auch Heidenchristen, war die Septuaginta [lateinisch für 70, abgekürzt: LXX, die – der Legende nach von anfangs 70 Gelehrten angefertigte – griechische Übersetzung heiliger Schriften des Judentums (3. Jh. v.Chr. bis 1. Jh. n.Chr.)].
  • [Wenn das Neue das Alte Testament zitiert, geschieht dies meist aus LXX. Die Judenchristen des Heiligen Landes lasen den (hauptsächlich) hebräischen Urtext mit aramäischer Lesehilfe (Targum).]
  • Die LXX enthält zusätzlich zum hebräischen Kanon zehn weitere Schriften, die im Westen deuterokanonisch genannt werden, in manchen protestantischen Traditionen auch Apokryphen („verborgene“ Schriften) oder Spätschriften zum Alten Testament. Sie heißen griechisch auch Anagignoskomena; es handelt sich also um „gelesene“ und in einem weiteren Sinne „anerkannte“ Bücher.

(a.) Welches sind die kanonischen Bücher des Alten Testaments [AT]?

  • Der rabbinisch-jüdische Kanon des AT umfasst nach ältester hebräischer Zählweise 22 (Josephus), geläufiger 24 – nach christlicher Zählweise: 39 – Bücher [unterteilt in Tora, Nevi’im, Ketuvim (TNK, zum Akronym vokalisiert als Tanach)], nämlich
    • [5 Bücher Moses, hebräisch Tora = Weisung, griechisch Pentateuch = Fünfrollenbuch:] Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri, Deuteronomium;
    • [die „vorderen Propheten“, hebräisch Nevi’im rischonim:] Josua, Richter, Samuel (1. und 2.), Könige (1. und 2.);
    • [die „hinteren Propheten“, hebräisch Nevi’im acharonim:] Jesaja, Jeremia, Ezechiel, Zwölfprophetenbuch (Hosea, Amos, Micha, Joel, Obadja, Jona, Nahum, Habakuk, Zefanja, Haggai, Sacharja, Maleachi);
    • [die (poetischen) ersten drei „Schriften“, hebräisch Ketuvim:] Psalmen, Ijob, Sprichwörter;
    • [die an fünf hohen jüdischen Festen verlesenen „Schriftrollen“, hebräisch Megillot:] Rut, Hohelied, Kohelet/Prediger, Klagelieder, Ester;
    • [weitere Bücher der „Schriften“:] Daniel, Esra und Nehemia, Chroniken (1. und 2.).
  • [Der obige Kanon beruht auf den rabbinischen Lehrentscheidungen von Jamnia, ca. 100 n.Chr.; die Kirche erkennt all diese Bücher als kanonisch an.]
  • Christliche Bibeln folgen jedoch der Anordnung der alten griechischen Übersetzung (Septuaginta/LXX) und gliedern die Bibel in historische, poetische und prophetische Bücher. Hierbei werden Rut (hinter Richter), Chroniken (hinter Könige), Esra, Nehemia, Ester als historische Bücher gezählt, Daniel (hinter Ezechiel, als „großer Prophet“) und Klagelieder (hinter Jeremia) als prophetische Bücher.
  • [Im Vergleich zu ihren hebräisch-aramäischen Versionen sind manche kanonischen Bücher in der Fassung der LXX ausführlicher, z.B. Daniel, Ester, Psalmen (s.u.). Die Zählweise der Psalmen weicht in der LXX zudem etwas ab (meist 1 geringer).]

Was heißt „deuterokanonisch“?

  • Das griechische Wort kanon heißt Maßstab; also heißt „kanonisch sein“ so etwas wie „den Maßstab bilden“ (für theologische Schriften). Die deuterokanonischen Schriften (Anagignoskomena) werden somit von der Kirche als zum Kanon gehörig betrachtet, aber nur in „zweiter Reihe“ (von griechisch deuteros = zweiter, anderer).
  • „Die ,kanonischen‘ Bücher zeichnen sich durch die besondere Autorität aus, welche ihnen die Kirche stets zuerkannt hat; sie hält aber auch die ,Anagignoskomena‘ in Ehren, die seit alters zu ihrem Kanon der Heiligen Schrift gehören.“ [in Urs von Arx (Hrsg.): Koinonia auf altkirchlicher Basis. Sonderheft zu IKZ 79/4, 1989, 48]

Welches sind die deuterokanonischen Bücher des Alten Testaments?

  • Die auch im Westen seit ältester Zeit als deuterokanonisch betrachteten Bücher sind: 1. und 2. Makkabäer, Tobias, Judit, Jesus Sirach, Weisheit, Baruch samt Brief des Jeremia; diese werden in den Kanon eingereiht, die Makkabäer bei den historischen, Baruch bei den prophetischen, die übrigen bei den poetischen Büchern bzw. Weisheitsbüchern.
  • Die orthodoxe Kirche erkennt zudem noch die Bücher 3. Esra (nach westlicher Zählung, etwa in Hieronymus‘ Vulgata; hingegen griechisch: 1. Esra, slawisch: 2. Esra) und 3. Makkabäer an.
  • Darüber hinaus erkennt die orthodoxe Kirche weitere Zusätze zu den kanonischen Büchern als deuterokanonisch bzw. Anagignoskomena an, z.B. das Gebet Manasses (enthalten sogar in zwei wichtigen reformatorischen Bibeln: Lutherbibel und King James Version, teils auch im Anhang katholischer Bibeln) oder Psalm 151.
  • [Der alttestamentliche Kanon der orientalisch-orthodoxen Kirchen weicht hiervon so gut wie nicht ab. Allerdings kennt die äthiopische Kirche zusätzlich zu den üblichen kanonischen und deuterokanonischen Schriften noch weitere antike jüdische und christliche Bücher, die sie als „kanonisch im weiteren Sinne“ bezeichnet.]­

(b.) Welches sind die Bücher des Neuen Testaments [NT]?

  • Das NT enthält 27 Bücher [größtenteils und vermutlich sogar in Gänze aus dem 1. Jh. n.Chr.], nämlich folgende (Abkürzungen der Bücher gemäß Loccumer Richtlinien):
    • die sogenannten synoptischen Evangelien: Mt, Mk, Lk [mit unterschiedlichen Adressaten, unterschiedlichen Schwerpunkten und höchstwahrscheinlich unterschiedlichem Alter, aber sehr ähnlichem Aufbau; eine literarische Abhängigkeit der Evangelien Mt und Lk von Mk sowie einer hypothetischen Quelle (Q) mit Jesus-Worten (Logien, nach Art des apokryphen „Thomasevangeliums“?) wird zwar vermutet, es fehlt aber nach wie vor ein Beweis in Form eindeutiger Textzeugen für die Existenz von Q];
    • das Joh-Evangelium [zumeist als jünger angesehen; als Evangeliar geordnet?];
    • die Apg des Lukas [zweiter Teil des sog. lukanischen Doppelwerks (= Lk+Apg)];
    • die Paulusbriefe (ca. 50-60 n.Chr.) – darunter die sog. Hauptbriefe: Röm, 1+2 Kor, Gal, ferner auch Eph, Phil, Kol, 1+2 Thess, Pastoralbriefe (1+2 Tim, Tit), Phlm, Hebr [es gibt gewisse Indizien dafür, dass Eph, Kol, 2 Thess, und die Pastoralbriefe im Namen oder Auftrag des Apostels Paulus von seinen Schülern oder Mitarbeitern niedergeschrieben wurden (also pseudepigraphisch sind); Hebr nennt keinen Verfasser];
    • die katholischen Briefe – Jak, 1+2 Petr, 1+2+3 Joh, Jud [„katholisch“, d.h. allgemein, da sie keine Adressaten nennen; die drei letzten sind sehr kurz];
    • die Offb [deren Kanonizität (wie Hebr, 2 Petr, 2+3 Joh, Jud) erst umstritten war].
  • [Die Ursprache des gesamten Neuen Testaments ist Koine-Griechisch. Es gibt die Theorie, dass das an Juden gerichtete Mt-Evangelium zunächst auf Hebräisch oder Aramäisch verfasst wurde, so schon die Kirchenväter Eusebius und Papias. Aber es fehlen Textzeugen, die dies klar belegen würden; auch das Mt-Evangelium in der syrisch-aramäischen Peschitta ist wohl deutlich jünger als die ältesten griechischen Handschriften von Mt.]
  • [Schon im 2. Jh. gab es bereits beträchtliche Einigkeit über den Umfang des NT: Das Schriftstück namens Canon Muratori sowie Irenäus von Lyon und Tertullian haben fast den gleichen Kanon wie wir heute – gegen z.B. Marcion. Origenes berichtet 230 gleichwohl noch von Diskussionen über die o.g. Bücher; es gab einst auch Kandidaten für den Kanon des NT, die dann letztlich doch nicht aufgenommen wurden (z.B. Apostellehre/Didache, 1. Clemensbrief oder Hirt des Hermas). Doch allerspätestens 367 (39. Brief des Athanasius) war die Kanonbildung abgeschlossen.]
  • [Kriterien für die Aufnahme einer Schrift in den Kanon waren ihr Alter und die Abfassung durch einen Apostel oder dessen nächstes Umfeld (z.B. Markus als Mitarbeiter des Petrus, 1 Petr 5,13; Lukas als Arzt und Reisebegleiter des Paulus, Apg 16,10f, 2 Tim 4,11, Phlm 24).]
  • [Es gibt wohl keinen antiken Text, für den es auch nur annähernd so viele alte Textzeugen gäbe wie für das NT. Kritische Ausgaben des NT (z.B. Nestle/Aland) zeigen, dass die Unterschiede der Lesarten sehr selten theologisch relevant sind – und dann i.d.R. nur dergestalt, dass eine Aussage, die in einer anderen Perikope einmütig bezeugt ist, an einer inhaltlich verwandten Stelle wiederholt wird. Z.B. ist die theologische Botschaft von Joh 8,1-11 (Jesus vergibt und ruft zur Umkehr), obgleich dieser Abschnitt in den ältesten bekannten Manuskripten von Joh fehlt, anderswo vielfach bezeugt; Gleiches gilt für Mk 16,9ff (Auferstehungsbericht samt Missionsbefehl, z.B. Mt 28); ebenso folgt der in der Textkritik als comma Iohanneum bekannte trinitarische Einschub in 1 Joh 5,7f umstandslos aus anderen – aus historisch-kritischer Sicht übrigens recht frühen – Aussagen des NT über Gottes Dreifaltigkeit (z.B. Mt 28,20, Joh 1,1.14, 2 Kor 13,13).]

Fortsetzung folgt: I/3 Die Heilige Dreifaltigkeit.

Katechetische Notizen zur orthodox-altkatholischen Lehre I/1

Wir dokumentieren hier in unregelmäßigen Abständen die Notizen zur Katechesenreihe (von Bischofsvikar F. Herzberg) über das orthodox-altkatholische Konsensdokument Koinonia auf altkirchlicher Basis (hrsg. Urs von Arx, IKZ 79/Sonderheft (1989)).

Vorbemerkungen…

Wir beginnen heute eine betont theologische Katechesenreihe. Nicht jeder Christ hat positive Assoziationen mit Theologie. Doch zu Unrecht:

  • Theologie heißt etymologisch: „Gott-Rede“, d.h. Rede über und/oder mit (!) Gott, dem Urgrund des Seins.
  • Evagrius Pontikos: „Wer richtig betet, ist Theologe; wer Theologe ist, betet richtig.“
  • Rechtes Beten, rechter Glaube, rechtes Handeln gehören zu sammen: lex orandi – lex credendi – lex vivendi.
  • Gute Theologie zeichnet sich aus durch das sentire cum ecclesia, den engen Austausch mit dem Volk Gottes – und ist daher stets lebensnah.
  • (Oder etwas moderner ausgedrückt, mit Karl Barth: Theologie ist eine „Funktion der Kirche“.)

Die Katechesenreihe gründet auf dem orthodox-altkatholischen Konsensdokument Koinonia auf altkirchlicher Basis [hrsg. Urs von Arx = IKZ 79/Sonderheft (1989)]:

  • Die Koinonia auf altkirchlicher Basis harmonisiert östliche und westliche theologische Traditionen,
  • und zwar auf der Grundlage vielfältiger biblischer und früher patristischer Zeugnisse;
  • sie ist das bislang umfassendste (wenngleich nicht umfangreichste) ökumenische Konsensdokument, das die orthodoxen Kirchen in einem bilateralen Dialog erarbeitet haben.

Im Laufe der Katechesenreihe werden wir gemeinsam die „Gemeinsamen Texte“ der Gemischten Orthodox-Altkatholischen Theologischen Kommission (so der offizielle Titel des Konsensdokuments) studieren. Dabei soll uns die folgende, etwas schematische, aber effektive Vorgehensweise helfen:

  • Die Überschriften der einzelnen Katechesen entsprechen den Kapitel- und Abschnittsüberschriften aus der Koinonia auf altkirchlicher Basis.
  • Die Fragen der Katechesen orientieren sich an den einzelnen Absätzen des jeweils zugrunde liegenden Abschnitts (die untergliedernde Nummerierung innerhalb eines Abschnitts wird in die Überschriften der Fragen aufgenommen).
  • Wir werden die Fragen gemeinsam, meist mit „offener Bibel“, diskutieren; im Dialog werden wir Antworten erarbeiten und mit den Aussagen des orthodox-altkatholischen Konsens vergleichen.

Kurzum: Es geht bei diesen Katechesen um eine Art Lern- und Lesehilfe zur Koinonia auf altkirchlicher Basis, die deren Rezeption an der kirchlichen Basis fördern soll. Die in eckigen Klammern […] gesetzten Teile sind Zusätze (Verweise auf Schriftstellen, Zitate oder erläuternde Aussagen), die sich zwar inhaltlich nicht in der Koinonia finden, aber einen Mehrwert für die Darstellung des jeweiligen theologischen Gegenstands haben.

I/1 Die göttliche Offenbarung und ihre Überlieferung

Wen meinen wir mit „Gott“? Können wir etwas über Gott, seine Existenz und sein Wesen wissen?

  • Mit „Gott“ meinen wir die heilige Dreifaltigkeit: Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist. [Vgl. den Tauf- und Missionsbefehl, Mt 18,19.]
  • [Um eine immanente, referenzielle Definition zu geben: Gott ist, nach christlicher Auffassung, identisch mit dem „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“ (Ex 3,6 = Mt 22,32).]
  • Die Existenz eines Schöpfergottes und von dessen Güte kann jeder erkennen, lehrt Paulus gegenüber heidnischen Griechen: Apg 14,17.
  • [Gottes Transzendenz und Selbst-Existenz kommen zum Ausdruck in seinem früheren Namen: „Ich bin, der ich bin“ (Ex 3,14). Aufgrund der weiteren übernatürlichen Offenbarung, darunter insbesondere Gottes Menschwerdung (s.u.), kann Gott nun näher beschrieben werden.]

(1.) Auf welche Weise(n) hat sich Gott zuerst offenbart?

  • Gott hat sich offenbart in der Schöpfung: Röm 1,20. [Diese sogenannte allgemeine oder „natürliche Offenbarung“ spiegelt sich nicht zuletzt in der Gesetzmäßigkeit der Schöpfung, besungen z.B. in Ps 19.]
  • In herausgehobener Weise hat Gott sich offenbart im Menschen, der Gottes Ebenbild ist. [Vgl. Gen 1,27.]
  • Das menschliche Gewissen bezeugt Gottes Gesetze bzw. Gebote: Röm 2,15. Hierdurch kann man bereits die Existenz der sogenannten „speziellen“ oder „übernatürlichen“ Offenbarung erahnen.

(2.) Warum fällt es dem Menschen schwer, Gott zu erkennen?

  • Die Menschen gehorchten nicht dem Gebot Gottes. [Der locus classicus ist die Perikope vom Sündenfall: Gen 3,17].
  • Dadurch wurde ihre Gottesebenbildlichkeit (s.o.) verdunkelt… ,
  • … ebenso auch ihre Fähigkeit, Gott zu erkennen: Röm 1,21.25.

Warum hat sich Gott einst dem Volk Israel offenbart; welchen Charakter hat diese Offenbarung?

  • Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und die Wahrheit erkennen: 1 Tim 2,4.
  • Gott offenbarte sich zunächst vorläufig durch die Propheten: Hebr 1,1.
  • Zu den Propheten gehört auch Mose; das (mosaische) Gesetz soll uns pädagogisch vorbereiten auf Christus: Gal 3,24. [Ja, auch Mose gilt in der Schrift als Prophet: Apg 3,22 = Dtn 18,15.]
  • [Im Alten Bund wurde von einer fortschreitenden übernatürlichen Offenbarung durch Propheten ausgegangen: Dtn 18,15. (Die sadduzäische Thelogie, die nur Mose als Prophet gelten lassen wollte, wird bereits in den Evangelien verworfen: Mt 22,23.29; Apg 23,8. Das rabbinische Judentum teilt diesbezüglich die christliche Position.) Kriterium für authentische Prophetie war jeweils die Kohärenz mit der vorausgegangen Offenbarung: Dtn 13,2-5. Die übernatürliche Offenbarung ist mit Christus an ihr Ziel gelangt: Hebr 1,1; Jud 3.]

(3.) Worin besteht die vollkommene Offenbarung Gottes, wie ist sie erfolgt und was ist ihr Ziel?

  • Höhepunkt der Heilsgeschichte ist die Offenbarung Gottes in seinem Sohn: Gal 4,4, Kol 2,9.
  • Der Sohn Gottes ist das Fleisch gewordene Wort Gottes: Joh 1,14.
  • Nur durch den Sohn Gottes kann der Mensch für die Ewigkeit gerettet werden: Apg 4,12.
  • Es handelt sich um eine Offenbarung Gottes in seinen Wirkungsweisen (Energien – energeiai), nicht in seinem Wesen (ousia). Basilius der Große, Brief 234, 1: „Die Wirkungsweisen sind mannigfaltig, die Wesenheit ist einfach. Wir aber sagen, wir erkennten unsern Gott aus den Wirkungsweisen, versprechen aber nicht, an seine Wesenheit selbst heranzukommen. Seine Wirkungen steigen zu uns hernieder; seine Wesenheit aber bleibt unzugänglich.“ (Migne, Patrologia Graeca 32,869, übersetzt nach Bibliothek der Kirchenväter BKV I, 46,283).

(4.) Wie wird diese Offenbarung vermittelt?

  • Die vollständige übernatürliche Offenbarung hat sich ereignet in Christus, s.o.
  • Sie wird vermittelt in der Überlieferung der heiligen Apostel. [Griech. apostolos = Gesandter. Diese wurden von Christus selbst erwählt und ausgesandt: Lk 6,13.]
  • Die Überlieferung der Apostel (apostolische Tradition) wiederum wird auf zwei Weisen weitergegeben:
    • erstens in der von Gott eingegebenen Heiligen Schrift [2 Tim 3,16];
    • zweitens in der mündlichen Überlieferung der Kirche [2 Thess 2,15].
  • Die lebendige, mündliche Überlieferung der Kirche ist insbesondere bewahrt im Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel, den Entscheidungen der Sieben Ökumenischen Konzilien und der lokalen Synoden, in den Schriften der Kirchenväter und der Liturgie.
  • [Wo die Kirchenväter weitestgehend übereinstimmen, spricht man vom consensus Patrum. Dieses Kriterium für authentische, im besten Sinne „katholische“ Überlieferung findet man im berühmten Commonitorium von Vinzenz von Lérins (+434), wo es heißt: … magnopere curandum est ut id teneamus quod ubique, quod semper, quod ab omnibus creditum est; Hoc est etenim vere proprieque catholicum … – „… besonders ist dafür zu sorgen, dass wir das festhalten, was überall, immer und von allen geglaubt worden ist, denn das ist eigentlich und wahrhaft katholisch …“ – Migne, Patrologia Latina 50,640. Darüber mehr in III/1.]
  • [Dass die Liturgie auch eine Zeugin der apostolischen Überlieferung ist, entspricht der alten theologischen Regel: lex orandi, lex credendi, „das Gesetz des Betens ist das Gesetz des Glaubens“ — erstmals formuliert wohl von Prosper von Aquitanien (+455): legem credendi lex statuat supplicandi. – Migne, Patrologia Latina 51,209.]
  • Die mündliche Überlieferung der Kirche findet weiterhin Ausdruck in der ständigen offiziellen Lehre der Kirche, s.u. [1 Tim 3,15]

(5.) Wie verhalten sich Heilige Schrift und heilige Überlieferung zueinander?

  • Die heilige Schrift und die (oben definierte) heilige Überlieferung sind verschiedene Ausdrucksweisen von ein und derselben apostolischen Überlieferung.
  • Die Frage des Vorrangs stellt sich somit nicht: „beide haben dasselbe Gewicht für die Frömmigkeit“ (Basilius der Große, Über den Heiligen Geist 27, 2 – Migne, Patrologia Graeca 32,188).
  • „Dabei wird die Schrift in der Überlieferung verstanden, die Überlieferung aber bewahrt ihre Unverfälschtheit und das Kriterium ihrer Wahrheit durch die Schrift und aus deren Inhalt“ (Interorthodoxe vorbereitende Kommission der Heiligen und Großen Synode, 16. bis 28. Juli 1971; Chambésy 1973, Seite 110).

Fortsetzung folgt: I/2 Der Kanon der Heiligen Schrift