Katechetische Notizen zur orthodox-altkatholischen Lehre, II/3 (Mariologie)

[Verkündigung an die heilige Maria: Emmanuel Tzanfournaris 1575-1630]

Mit den besten Wünschen zum morgigen Hochfest der Verkündigung des Herrn und zur bevorstehenden Heiligen Woche dokumentieren wir hier weitere Notizen zur Katechesenreihe (von F. Irenäus Herzberg) über das orthodox-altkatholische Konsensdokument Koinonia auf altkirchlicher Basis (= IKZ 79/4 Beiheft, 1989, Hrsg. Urs von Arx). 

Bisher erschienen in der Reihe die folgenden Teile: 

II/3 Die Gottesmutter

Darf und soll die heilige Jungfrau Maria „Gottesgebärerin“ bzw. „Gottesmutter“ genannt werden?

Ja! Begründung:

  • Wie zuvor dargelegt (II/2, 1), sind in der Person (Hypostase) Jesus Christus die göttliche und die menschliche Natur vereinigt: er ist Gottmensch – wahrer Gott und wahrer Mensch. [Der Mensch Jesus von Nazareth war von seiner Empfängnis im Mutterleib an bereits das fleischgewordene Wort Gottes.]
  • Folglich hat die heilige Jungfrau Maria eben nicht bloß einen Menschen geboren, sondern den Gottmenschen. Daher gebührt ihr der Titel Gottesgebärerin (theotókos 3. Ökumenisches Konzil, Ephesos 431) – [und nicht nur jener der christotókos, d.h. Christusgebärerin, wie von der häretisch-nestorianischen Partei vorgeschlagen].
  • Der Titel der ,Gottesgebärerin‘ bzw. ,Gottesmutter‘ für die heilige Jungfrau Maria bringt die gesamte Erlösungslehre auf den Punkt [und gilt daher oft als Lackmustest bzw. Schibboleth der Rechtgläubigkeit]; dieser Titel „stellt das ganze Geheimnis des Heilsplanes dar“ (Johannes von Damaskus, Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens, III, 12; BKV I, 44: 142).

(1.) Wie vereinte sich der Erlöser mit dem menschlichen Geschlecht?

  • Die Allmacht Gottes bewirkte durch den Heiligen Geist die Empfängnis der heiligen Jungfrau Maria, mithin ihre wahre Mutterschaft, als die „Kraft des Höchsten [sie] überschattete“ (Lk 1,35).
  • Das göttliche Wort nahm die menschliche Natur mit Leib und Seele an und wurde Fleisch (Joh 1,14).

Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Einheit der Person Christi und dem Titel der Gottesmutterschaft Mariens?

Beide Glaubenswahrheiten stehen in einem engen logischen Zusammenhang:

  • Die unvermischte Vereinigung der göttlichen und der menschlichen Natur in dem einen Herrn Jesus Christus kommt dadurch zustande, dass Gott das Wort bei der Empfängnis der Jungfrau aus ihr einen Tempel nimmt und mit sich selbst vereinigt. (Formula unionis von 433 der antiochenischen und der alexandrinischen Partei)
  • Weil die göttliche und die menschliche Natur unvermischt vereinigt wurden, können wir sagen: Unser Herr Jesus Christus ist der eine Sohn Gottes, „aus dem Vater gezeugt der Gottheit nach, […] aus der Jungfrau [geboren] der Menschheit nach.“ (4. Ökumenisches Konzil, Chalkedon 451)

(2.) Was meint die Jungfräulichkeit der heiligen Maria?

  • Es ist damit nicht nur die Jungfräulichkeit bei der Empfängnis, sondern auch bei (!) [virginitas in partu] und nach der Geburt [virginitas post partum] gemeint.
  • Schon der heilige Ignatius von Antiochien nennt die Geburt der Jungfrau Maria [neben ihrer jungfräulichen Mutterschaft und dem Tod des Herrn] eines von „drei laut rufenden Geheimnissen“ (ad Eph. 19, BKV I, 35: 124)
  • Die Väter des 4. Ökumenischen Konzils sprechen gegenüber Kaiser Markian vom „herrlich versiegelten“ Leib der Jungfrau Maria; die Entscheidungen des [5.und] 7. Ökumenischen Konzils ehren sie als „stete Jungfrau“ [aeiparthenos].
  • Schon der heilige Augustinus lehrt: „Eine Jungfrau empfing, eine Jungfrau gebar und blieb auch nach der Geburt Jungfrau“ (de symb. ad cat. 1,3; BKV I, 37: 359). [Dass eine solche Merkformel Eingang in einen katechetischen Diskurs findet, deutet ebenso wie die Aussage der Väter des 4. Ökumenischen Konzils auf eine sehr gefestigte Tradition hierzu schon im 5 Jahrhundert hin.]
  • [Die virginitas in partu Mariens widerspricht natürlich – ebenso wie die leibhaftige Auferstehung – dem im 19. und frühen 20. Jahrhundert üblichen deterministischen Verständnis der Naturgesetze. Hierzu ist das Folgende zu sagen. (a) Seit mehr als einem Jahrhundert erklärt die Physik das Verhalten von Materie mit dem Welle-Teilchen-Dualismus, wobei nach herrschender Meinung (Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik) der Ortsvektor von Teilchen eine Zufallsvariable ist (vgl. Tunneleffekt); demzufolge sind die genannten wundersamen Phänomene zwar statistisch extrem unwahrscheinlich, aber nicht einmal physikalisch ausgeschlossen. (b) Da es hier um einmalige Ereignisse der Heilsgeschichte geht, deren Wiederholbarkeit die Kirche ja gerade bestreitet, kommt ein bloß statistisch begründeter Zweifel an ihnen einer petitio principii nahe. (c) Philosophisch ist zudem zu sagen, dass selbst eine physikalische Unmöglichkeit keine metaphysische oder gar logische ist. (d) Theologisch ist unabhängig von Punkt (a) zu bemerken: Selbst unter der Annahme eines deterministischen Weltbildes wird die Gesetzmäßigkeit der Schöpfung durch einige wenige Suspendierungen der physikalischen Kräfte keineswegs so weit beeinträchtigt, dass daraus ein anderes Gottesbild entstünde.]
  • [Ähnlich kann auch eine Apologie der jungfräulichen Geburt entfaltet werden. Das Inkarnationsdogma ist somit nicht unvernünftig, sondern übervernünftig, wenngleich für den begrenzten menschlichen Verstand stets offene Fragen bleiben werden.]
  • [Mt 1,25 widerspricht der virginitas post partum nicht, da es hier nur um die Geburt Jesu geht; die Präposition heôs deutet eine Mindestdauer, keine Höchstdauer an.]
  • [Der semitische Sprachgebrauch bezeichnet Cousins und entferntere männliche Verwandte ebenfalls als „Brüder“. Die im Neuen Testament mehrfach bezeugten „Brüder Jesu“ müssen daher nicht dieselbe Mutter wie er gehabt haben, sie könnten Cousins oder Stiefbrüder (Kinder des heiligen Josef aus einer früheren Ehe) sein.]

(3.) Wofür verehrt die Kirche die Gottesmutter, was sind ihre Titel?

  • Die Kirche zollt der heiligen Maria große Verehrung [doulia, hyperdoulia]; wirkliche Anbetung [latreia] aber gebührt nur Gott.
  • Sie ehrt die Gottesmutter als auserwähltes Gefäß, insofern sie das Wort Gottes gläubig, demütig und gehorsam angenommen hat.
  • Sie ist Begnadete, Erste der Heiligen [panagia, Allheilige], Allreine, insofern lässt sich bei ihr von einer relativen Sündlosigkeit aus Gnaden sprechen, „zumal von der Herabkunft des Heiligen Geistes auf sie an“ (Koinonia, 57).
  • Absolute Sündlosigkeit eignet jedoch nur dem Herrn Jesus Christus.

Wie steht die Kirche zu den neuzeitlichen Mariendogmen?

  • Das Dogma der Unbefleckten Empfängnis Mariens [passiv!, d.h. von der heiligen Anna] wird mit Blick auf die Form der Dogmatisierung (päpstlicher Lehrentscheid) abgelehnt. Inhaltlich wird es so weit zurückgewiesen wie damit eine absolute Sündlosigkeit der heiligen Jungfrau Maria gelehrt werden soll (siehe oben II/3, 3) .
  • [Im Offiziellen Kommentar zur Erklärung von Scranton wird die immaculata conceptio zwar nicht als Dogma, aber doch als wiederkehrender Bestandteil kirchlicher Lehre – auch der eigenen Kirche – gewürdigt (SYNODOS 3: 22). Hierzu werden allerdings keine Quellen genannt. Es ist jedoch bekannt, dass schon Thomas von Aquin (Summa theologiæ III, q. 27, a. 1) – übereinstimmend mit der herrschenden Meinung ostkirchlicher Theologen – lehrte: Die heilige Maria wurde noch im Mutterleib durch den Heiligen Geist von der Erbsünde gereinigt (und vor Tatsünden bewahrt). Allerdings räumt auch Thomas ein, dass diese Reinigung erst stattfand, nachdem sie bereits – somit erlösungsbedürftig – ins Dasein getreten war (a. 2). Ferner lehrt er, dass sie nach der Verkündigung der Geburt des Herrn abermals gereinigt wurde (a. 3), so wie es ja auch der heilige Johannes von Damaskus bezeugt (Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens, III, 2, PG 94, 985B = BKV² I, 44: 115).]
  • Das zweite neuzeitliche römisch-katholische Mariendogma lehrt, die heilige Jungfrau Maria sei am Ende ihres irdischen Lebens mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden. Dieses Dogma lehnt die Kirche ebenfalls im Hinblick auf die Form der Dogmatisierung ab. Zugleich ist sie überzeugt, dass die heilige Jungfrau Maria in großer Seligkeit entschlafen ist und feiert daher den Tag ihres Heimgangs.
  • [Der Offizielle Kommentar zur Erklärung von Scranton hält zudem daran fest, dass die Aufnahme Mariens im obigen Sinne wiederkehrender Bestandteil kirchlicher Lehre – auch der eigenen Kirche – ist (SYNODOS 3: 22). Auch hier werden keine Quellen genannt. Gleichwohl berichtet bereits das Alte Testament bekanntermaßen von Henoch und Elija eine leibliche Aufnahme in den Himmel. Dass diese Gnade auch der Mutter des Erlösers der Menschheit zuteil wurde, ist daher nur plausibel. Da die Überlieferung dazu jedoch nicht eindeutig ist, erkennen Orthodoxe und Altkatholiken hierin auch keinen unumstößlichen Glaubenssatz.]

(4.) Darf die Gottesmutter als „Mittlerin“ angerufen werden?

Nein:

  • Die heilige Maria leistet stets Fürbitte für die Kirche bei ihrem Sohn und wird daher in der (byzantinischen) liturgischen Tradition auch als „Vermittlerin“ (mesítria) bezeichnet.
  • Sie ist aber weder „Mittlerin“ (commediatrix), noch „Miterlöserin“ (corredemptrix)!
  • [Mittler und Erlöser ist allein der Gottmensch: unser Herr Jesus Christus.]

Fortsetzung folgt: III/1–I Wesen der Kirche (Grundlagen der Ekklesiologie)