Paulus: Eiferer für die Sache Jesu, um der Menschen willen

Gedanken von Gabriele Gerte und F. Irenäus Herzberg

Apostel Paulus: Mosaik, Oratorium Sant’Andrea, Ravenna, 5. Jh.

Am 25. Januar feiert die Kirche das Fest der Bekehrung des heiligen Paulus von Tarsus. Ein Anlass, sich etwas näher mit diesem Glaubenszeugen zu beschäftigen: Wer war Paulus eigentlich?

Geschichtlich gesichert ist folgendes:

Saulus, später als Paulus bekannt, war ein gebildeter, vermögender und gesetzestreuer Jude mit römischem Bürgerrecht. Er war der griechischen, aramäischen und hebräischen Sprache mächtig und studierte als Schüler des Gamaliel in Jerusalem. Er gehörte als eifriger gesetzestreuer Jude zu den Pharisäern – jener Fraktion, die eine strenge Befolgung der mosaischen Gesetze und aller übrigen jüdischen Traditionen lehrte (vgl. z.B. Mk 7,5.13). Es ist bekannt, dass er hartnäckig die Christen verfolgte und bereits zur Steinigung des Stephanus Beihilfe leistete (vgl. Apg 7,58).

Dann aber geschah etwas völlig Unerwartetes: Auf einer Reise nach Damaskus, die ebenfalls der Christenverfolgung dienen sollte, hatte er eine Erscheinung Jesu:

Während er nun so dahinzog und schon in die Nähe von Damaskus gekommen war, umstrahlte ihn plötzlich ein Lichtschein vom Himmel her; er stürzte zu Boden und vernahm eine Stimme, die ihm zurief: »Saul, Saul! Was verfolgst du mich?« Er fragte: »Wer bist du, Herr?« Jener antwortete: »Ich bin Jesus, den du verfolgst! Doch stehe auf und geh in die Stadt hinein: dort wird dir gesagt werden, was du tun sollst!« Saulus erhob sich dann von der Erde; obwohl jedoch seine Augen geöffnet waren, konnte er nichts sehen: an der Hand musste man ihn nach Damaskus hinführen, und er war drei Tage lang ohne Sehvermögen; auch aß und trank er nichts.

(Apg 9,3-6.8.9)

Ein in Damaskus lebender Jünger namens Hananias legte ihm die Hände auf und sprach:

»Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist: du sollst wieder sehen können und mit heiligem Geist erfüllt werden.« Da fiel es ihm sogleich von den Augen ab wie Schuppen: er konnte wieder sehen, stand auf und ließ sich taufen. Einige Tage war er nun mit den Jüngern in Damaskus zusammen; dann predigte er sogleich in den dortigen Synagogen von Jesus, dass dieser der Sohn Gottes sei.

(Apg 9,17-18.19b.20)

Was für ein gewaltiges, unbeschreibliches, beeindruckendes und umwälzendes Erlebnis muss Saulus widerfahren sein, dass er sein bisheriges Leben und seine Lebensweise aufgab und sprichwörtlich sein Leben auf den Kopf stellte?! Dieses Erlebnis hat ihm quasi den Boden unter den Füßen weggezogen. Alles was vorher war und zählte (Reichtum, Macht, Gesetzestreue usw.) „sah“ er plötzlich nicht mehr. Er war wie umgewandelt, wie neugeboren, neugeboren im Licht Jesu. Der Herr hat ihn tief beeindruckt, seine Worte und seine Lehren waren für ihn, den gläubigen Juden, nun das Maß aller Dinge. Er verinnerlichte seine Lehre so sehr, dass er, wie auch Jesus, den Menschen sogar über das mosaische Gesetz stellte. Anstatt die Jünger Jesu zu verfolgen, wurde er nun selbst ein Verkünder Jesu. Er fühlte sich als Apostel berufen (u.a. 2. Kor 13,10, Gal 1,1.12), alle Menschen, auch Nicht-Juden („Heiden“), zu bekehren.

Diese Heidenmission, ursprünglich begonnen durch Petrus (Apg 10,44ff, 15,14), brachte ihm jedoch schon recht bald Ärger mit einigen Judenchristen ein. Für diese zählte nämlich die Beschneidung der Männer und die Einhaltung der übrigen mosaischen Gesetze – einschließlich der Ritualgesetze – zur unbedingten Voraussetzung, um Christ zu werden (u.a. Apg 15,1.5; 16,3). Paulus konnte diese Position eigentlich sehr gut nachvollziehen, war er doch selbst einst „Eiferer für die von den Vätern überkommenen Überlieferungen“ (Gal 1,14) gewesen – jenen Überlieferungen, die sogar einen „Zaun um das Gesetz“ (so das geflügelte rabbinische Wort) legen wollten, damit es ja nicht übertreten werde. Doch nun hatte Paulus erkannt: Es geht Gott zuallererst um den Menschen, welchen er ja nach seinem Bilde erschaffen hat (Gen 1,27) und dem er Orientierung, Anleitung zu einem gelungenen Leben geben will. Als Jünger Jesu hatte Paulus verstanden: Das Gesetz ist für den Menschen da und nicht umgekehrt (Mk 2,27).

Muss man trotzdem zunächst ein frommer Jude wie Jesus, Maria und die ersten Jünger sein, bevor man Christ werden kann? Diese wichtige Frage wurde auf dem Apostelkonzil von Jerusalem, gleichsam der ersten Synode der Kirchengeschichte, verhandelt. Paulus war mit der Mehrheit der Apostel und insbesondere Jakobus der Ansicht, dass man die Einhaltung des mosaischen Ritualgesetzes wie etwa die Beschneidung nicht von den Nicht-Juden verlangen könne (u. a. Apg 15,19). Lediglich die wenigen heidnischen Bräuche, durch welche die Tischgemeinschaft von Heidenchristen und gesetzestreuen Judenchristen auf Dauer unmöglich würde (nämlich der Verzehr von blutigem, ersticktem oder auf Götzenaltären geopferten Fleisch – sowie eheähnliche Beziehungen zwischen nahen Verwandten), wurden den Heidenchristen untersagt; für diese Entscheidung berief man sich ausdrücklich auf den Beistand des Heiligen Geistes (Apg 15,28f).

In seinem berühmten Brief an die Kirche von Rom, die er um Unterstützung für eine Missionsreise ins ferne Spanien ersuchte (Röm 15,24), führte Paulus diese Einsicht noch weiter, indem er schrieb: „Wir halten dafür, dass der Mensch durch den Glauben gerechtfertigt werde ohne Gesetzeswerke.“ (Röm 3,28) Hier geht es nun nicht allein um das rechte Verständnis des mosaischen Ritualgesetzes. Nein, es geht, wie die vorangehenden Verse zeigen (Röm 3,23-25), um noch viel mehr – um eine letztlich alles entscheidende Botschaft für die Menschen aller Zeiten und Kulturen: Dass nämlich Gott, welcher in Christus selbst Mensch geworden ist, jeden Menschen annimmt und rechtfertigt, der wirklich an ihn glaubt – d.h. tatsächlich jeden, der auf die von Jesus (am Kreuz) erworbene Erlösung vertraut. Wenn Gott eines Tages unser Leben beurteilt, kommt es also nicht darauf an, ob „unsere guten Taten unsere bösen Taten aufwiegen“ – sondern darauf, dass wir in diesem Leben auf Jesus Christus vertraut haben.

Natürlich führt der echte Gottesglaube notwendigerweise dazu, Gott und die von ihm geschaffenen Menschen zu lieben – und sich dafür an den guten Geboten Gottes zu orientieren. Doch auch wer erst am Lebensende seine Lieblosigkeit erkennt, bereut und auf die Barmherzigkeit Gottes durch Jesus Christus vertraut, wird um dieses Glaubens willen von Gott gerechtfertigt und im Endgericht gerettet. Das wohl berühmteste Beispiel hierfür findet sich in der Gestalt des „Schächers“ am Kreuz (Lk 23,38-43).

Doch zurück zur Person des Paulus: Blieb er zeitlebens ein Eiferer? Nun, gewiss nicht mehr im Sinne des Eifers für jegliche jüdische Überlieferung. Als Eiferer bezeichnet man jedoch im eigentlichen Sinne des Wortes eine Person, die sehr zielstrebig vorgeht, um sich ganz und ungeteilt für ein bestimmtes Anliegen einzusetzen. Dies trifft auf Paulus gewiss zu: Er war von Jesu Lehre und Leben derart überzeugt, dass er unbeirrt und unter größten Schwierigkeiten (Widerstand der Juden, Prügel, Steinigung, Gefängnisaufenthalte, Krankheit, Hunger, Schiffbruch usw., 2 Kor 11, 23-28) weite Reisen in ferne Länder (Kleinasien, Griechenland, Italien, ggf. Spanien usw.) auf sich nahm, um den rettenden Glauben an Jesus Christus zu verbreiten. Für die Sache Jesu war Paulus gewiss ein Eiferer, aber stets aus Liebe zu den Menschen.

Fazit

Paulus war ein unermüdlicher Eiferer in der Verkündigung des Evangeliums und der Lehre Jesu. Für Jesus Christus nahm er alle Strapazen und Konfrontationen auf sich. Seine Reden waren provozierend, ja oft sogar recht barsch und ruppig, gelegentlich mit scharfer Ironie, mit eigentümlicher Demut trotz allem Sendungsbewusstsein. Unbeirrt und unerschrocken vertrat er seine Glaubenslehre. Ihm war wichtig, dass alle Menschen seine Reden hörten und somit die Chance erhielten zum Glauben an Jesus Christus zu kommen. Paulus war überzeugt, dass nur der Glaube an Jesus und seine Heilslehre die Menschen retten und erlösen können. Die Gebote Jesu, wie Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Vergebung, waren für ihn nun das Maß aller Dinge. Die Einhaltung der mosaischen Gesetze galt ihm nicht mehr als Voraussetzung dafür, dass ein Mensch den Glauben annehmen und Christ werden kann. Allein der Glaube an Jesus und ein Leben nach seinen Lehren waren für ihn maßgeblich. Dafür setzte er sich ein und stritt sich mit manchen Gemeindevorstehern der Judenchristen und auch mit weltlichen Herrschern. Es ist zu betonen, dass Paulus bei seiner Glaubensverkündigung nie Druck, geschweige denn Gewalt anwandte, obwohl er selbst Gewalt erfuhr. Trotz aller Widrigkeiten (Krankheit, Verfolgung und Gewalt) verfolgte er unbeirrt sein Ziel, möglichst viele Menschen zum Glauben an Jesus zu führen. Er bereiste dazu viele Länder bis zu seinem Märtyrertod und, wie die Geschichte zeigt, mit Erfolg. Paulus gilt heute als Mitbegründer der Christenheit. Sein Einsatz war nicht umsonst. Paulus, der Eiferer, Provokateur und Streiter für die Sache Jesu ist bis heute unvergessen.