Katechetische Notizen zur orthodox-altkatholischen Lehre, III/2

Lukaskloster (Böotien): Ignatius von Antiochien

III/2: Die Einheit der Kirche und die Ortskirchen

Die orthodoxen und die altkatholischen Kirchen haben zwischen 1975–1987 einen umfassenden theologischen Konsens erarbeitet — mit dem Ziel einer kanonischen Vereinigung. Während sich einige altkatholische Kirchen (besonders in Westeuropa) hiervon später distanziert haben, hält die Union von Scranton an diesem altkirchlichen Glauben weiterhin fest. Wir dokumentieren hier weitere Notizen zur Katechesenreihe (von Bischofsvikar F. Irenäus Herzberg) über das orthodox-altkatholische Konsensdokument Koinonia auf altkirchlicher Basis (= IKZ 79/4 Beiheft, 1989, Hrsg. Urs von Arx). 

Bisher erschienen in der Katechesenreihe die folgenden Teile: 

(1.) Welche Beziehung besteht zwischen der Kirche, dem Leib Christi und der Eucharistie?

  • Die Kirche ist der eine Leib Christi; in ihm sind die Gläubigen als Glieder mit Christus als dem Haupt und untereinander zu einer Einheit verbunden [1 Kor 12,12f.; Eph 4,15f.].
  • Diese Vereinigung wird durch das Sakrament der heiligen Eucharistie hervor- und zum Ausdruck gebracht: „Denn ein Brot ist’s. So sind wir, die vielen, ein Leib, weil wir alle eines Brotes teilhaftig sind.“ (1 Kor 10,17)

(2.) Welche Rolle spielen dabei die Ortskirchen?

  • Der Mittelpunkt des kirchlichen Lebens vor Ort ist gerade die Feier der heiligen Eucharistie unter dem rechtmäßigen Bischof und seinen Priestern: „Nur jene Eucharistie gelte als die gesetzmäßige, die unter dem Bischof vollzogen wird oder durch den von ihm Beauftragten.“ (Ignatius von Antiochien, ad Smyrn., 8, 1. Migne PG 8, 852 = BKV² I, 35: 150)
  • Die eine Kirche auf Erden lebt daher in der Vielzahl der Ortskirchen, jeweils unter ihrem rechtmäßigen Bischof.

(3.) Widerspricht die kulturelle Vielfalt der Ortskirchen der Einheit der Kirche?

Keineswegs:

  • Die Einheit im Glauben ist der höchste Grundsatz der Kirche.
  • Die Ortskirchen bilden eine Einheit, insofern sie den apostolischen Glauben einmütig, rein und unverfälscht bewahren.
  • Schon Irenäus von Lyon bezeugt eine frühe Form des Glaubensbekenntnisses und schreibt dazu: „Diesen Glauben bewahrt die Kirche, wie sie ihn empfangen hat, obwohl sie, wie gesagt, über die ganze Welt zerstreut ist, sorgfältig, als ob sie in einem Hause wohnte, glaubt so daran, als ob sie nur eine Seele und ein Herz hätte, und verkündet und überliefert ihre Lehre so einstimmig, als ob sie nur einen Mund besäße.“ (Irenäus von Lyon: adv. haer. I, 10, 2. Migne PG 7, 549.552 = BKV² I, 3: 33)

(4.) Ist die eine Kirche in den Ortskirchen nur jeweils teilweise präsent?

Nein:

  • Jede Ortskirche bildet als Eucharistie feiernde Gemeinschaft unter ihrem Bischof und seinen Priestern den ungeteilten Leib Christi an ihrem jeweiligen Ort.
  • Das Leben der einen Kirche wird den Ortskirchen von dem dreifaltigen Gott nicht geteilt gegeben, sondern jede Ortskirche besitzt es in Gänze.
  • Insofern manifestiert sich in jeder Ortskirche jeweils der ganze Christus: „ein Leib und ein Geist […]; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater aller“ (Eph 4,4–6).

(5.) Woran lässt sich die wesenhafte Einheit der Ortskirchen erkennen?

Die wesenhafte Einheit der Ortskirchen untereinander als die eine Kirche zeigt sich:

  • zuvörderst in der Einheit des Glaubens,
  • in der Einheit des liturgischen und sakramentalen Lebens,
  • in der Einheit der Grundprinzipen kirchenrechtlicher Ordnung,
  • in der Einheit unter ihren Bischöfen.

Die Einheit der Kirche ist ein Geschenk ihres Herrn, um das Er den Vater gebeten hat [Joh 17,17.21]. In der jetzigen Epoche der Heilsgeschichte wartet die Kirche allerdings noch auf ihre Vervollkommnung in der Liebe und die Erlösung von allem Übel wartet (Didache 10, 5. BKV² I, 35: 12); daher ist die geschenkte Einheit immer wieder neu gegen widergöttliche und spalterische Kräfte zu verteidigen.

(6.) Wie verwirklicht sich die Einheit der Ortskirchen praktisch?

Die Einheit der Ortskirchen verwirklicht sich praktisch durch:

  • gemeinsamen Empfang der heiligen Eucharistie durch ihre Glieder,
  • gegenseitige Besuche ihrer Vertreter und Austausch von Grußbotschaften,
  • wechselseitigen Beistand mit den jeweils eigenen Gaben und Gebet füreinander.

Dabei wird zugleich stets die Regel der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten beachtet. Im Laufe der Zeit haben die Ortskirchen in verschiedenen Weltgegenden auch umfassendere Kirchenprovinzen und Landeskirchen gebildet, denen jeweils ein Bischof vorsteht.

[Die Bildung solcher Kirchenprovinzen ist vorgeschrieben u.a. im Kanon 34 der sogenannten Apostolischen Kanones. Eine besondere Rolle spielen spätestens seit dem 3. Jahrhundert die Bischöfe von Großstädten (Metropolen), die Metropoliten. Unter diesen waren bis zum Vierten Ökumenischen Konzil (451) drei Metropolitansitze von herausgehobener Bedeutung: 1. Rom, 2. Alexandrien, 3. Antiochien. Diese Metropoliten hatten in ihren jeweiligen Regionen – Westeuropa, Nordafrika, vorderer Orient – eine kirchliche Vorrangstellung (vgl. z.B. Kanon 6 des Ersten Ökumenischen Konzils, Nizäa 325). Neben diesen drei Metropolitansitzen wurden auf dem Konzil von Chalkedon 451, begründet zum einen durch die Reichsteilung, zum anderen durch vermehrte Pilgerreisen ins Heilige Land seit Kaiserin Helena, Konstantinopel (Ost-Rom, hinter West-Rom) und Jerusalem (hinter Antiochien) in den Kreis der wichtigsten Bischofssitze erhoben; so entstand der Vorrang der fünf altkirchlichen Patriarchate (Pentarchie). Im Laufe der Ausbreitung des Christentums erlangten weitere Landeskirchen den höchsten Grad der kirchlichen Eigenständigkeit, nämlich die Befugnis zur eigenständigen Wahl und Weihe ihres jeweils leitenden Bischofs, genannt Autokephalie: zunächst Zypern (bereits 431), Georgien (erstmals vielleicht schon 486, sicher 1010), Serbien (erstmals 1219), Bulgarien (erstmals 927 und 1235) und Russland (de facto seit 1448, de jure seit 1593). In einigen Fällen ging die Eigenständigkeit zeitweise auch wieder verloren. Etliche weitere Landeskirchen wurden seit dem 19. Jahrhundert autokephal, insbesondere Rumänien (1885), zahlenmäßig heute die zweitgrößte chalcedonensisch-orthodoxe Kirche. Einige dieser Landeskirchen sind in den Kreis der Patriarchate aufgenommen worden, nämlich die Kirchen Russlands, Georgiens, Serbiens, Bulgariens und Rumäniens. Neben den autokephalen Landeskirchen gibt es diverse Kirchenprovinzen, die zwar einem Patriarchat unterstellt sind, aber Autonomie genießen: Auch diese Kirchen dürfen ihren leitenden Bischof selbst wählen; der Unterschied zur Autokephalie besteht darin, dass der so Erwählte vor Amtsantritt der Zustimmung seines Patriarchen bedarf. Beispielsweise ist die Kirche von Finnland eine autonome Teilkirche des Patriarchates von Konstantinopel (auch bekannt als Ökumenisches Patriarchat).]

[Das Patriarchat von Rom hingegen entfremdete sich insbesondere ab dem 11. Jahrhundert immer weiter von den übrigen Ortskirchen, veränderte 1014 einseitig das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel (325/381) durch Hinzufügung des Filioque im dritten Artikel (I/3, 3) und erhob immer weiter reichende kirchenrechtliche Ansprüche. Als der römische Papst Leo IX. (durch einen Legaten) im Jahre 1054 den Patriarchen von Konstantinopel Michael Kerularios exkommunizieren ließ und dieser darauf die päpstliche Delegation exkommunizierte (erst 1965 wechselseitig aufgehoben), kam es zu einem bleibenden Zerwürfnis. Die Kirche von Rom führte in der Folgezeit neben dem Filioque auch weitere neue Lehren ein und veränderte die kirchenrechtliche Ordnung, insbesondere durch die Dogmen von der Unfehlbarkeit päpstlicher Lehrentscheide und der universellen päpstlichen Rechtsgewalt (Infallibilität und Jurisdiktionsprimat; beschlossen 1870, bestätigt 1964). Trotz vereinzelter Annäherungen ist die Kirche von Rom somit seit vielen Jahrhunderten von der einen Kirche im engeren Sinne – der Gemeinschaft der rechtgläubigen apostolischen Ortskirchen – getrennt. An wichtigen Entscheidungen der Kirche, etwa zur Theologie des heiligen Gregor Palamas auf den Synoden von Konstantinopel 1341–1351, war sie nicht beteiligt.]

[Auch die altkatholischen Ortskirchen, die großenteils bis ins späte 19. Jahrhundert zur Kirche von Rom gehörten, sind seit vielen Jahrhunderten getrennt von der Gemeinschaft jener Ortskirchen, die den apostolischen Glauben unverfälscht bewahrt haben. Das 20. Jahrhundert brachte jedoch eine historische Wendung: Als Folge des orthodox-altkatholischen Dialoges haben die Kirchen der altkatholischen Union von Scranton wieder den altkirchlichen Glauben in seiner Fülle angenommen (ratifiziert durch die Generalsynode der Polnisch-katholischen Nationalkirche Nordamerikas 1990 und durch die Generalsynode der Nordisch-katholischen Kirche 2007). Damit sind sie den ersten Schritt gegangen auf dem Weg zur vollständigen Gemeinschaft mit der einen, ungeteilten Kirche der Apostel und Kirchenväter.]

(7.) Wie gelangen die Ortskirchen zu gemeinsamen Entscheidungen?

  • Gemeinsame Entscheidungen der Ortskirchen sind nötig bei Glaubensfragen und weiteren Fragen von gemeinsamem Interesse, welche die Zuständigkeit der Ortskirchen übersteigen.
  • Diese Entscheidungen werden von den Ortskirchen auf Synoden getroffen, wobei jeweils die kirchenrechtlich festgelegte Rangordnung der Ortskirchen bzw. ihrer Vorsteher beachtet wird.
  • In besonderer Weise geschieht dies auf der Ökumenischen Synode, auch als Ökumenisches Konzil bezeichnet, die in der katholischen Kirche die höchste Autorität darstellt, insofern sie als Stimme der Kirche gilt. [„Ökumenisch“ ist hier im ursprünglichen Sinne von ,die gesamte bewohnte Welt betreffend‘ zu verstehen.]
  • Ziel der synodalen Entscheidungen ist stets die Bewahrung und Förderung der Einheit in der Liebe.

Denn wie der Leib eine Einheit ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber trotz ihrer Vielheit einen Leib bilden, so ist es auch mit Christus. Denn durch einen Geist sind wir alle durch die Taufe zu einem Leibe zusammengeschlossen worden. […] Ihr seid Christi Leib, und jeder einzelne ist ein Glied daran nach seinem Teil.

1 Kor 12,12.13.27

Fortsetzung in Vorbereitung: III/3 Die Grenzen der Kirche