Es hätte so schön weiter gehen können – ein Leben im Paradies.
„Du darfst essen von allen Bäumen im Garten.“ Zu Anfang lebte der Mensch von der Großzügigkeit Gottes, und es war kein Problem, dass Gott gesagt hatte: „Von dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen sollst du nicht essen.“ Es gab reichlich Anderes. Es war buchstäblich paradiesisch im Garten Eden. Der Mensch war nackt, und er konnte ganz unbefangen Gemeinschaft mit Gott haben. Alles war gut.
Es bedurfte zum Zusammenleben keiner 613 in der Tora enthaltenen Mitzwot (Gesetze), keiner Zehn Gebote und auch nicht des Gebotes Jesu, das „neue Gebot“, das er uns gab: „Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34-35), brauchte es nicht, denn die Liebe war allgegenwärtig. Alles war gut!
Es gab für die Menschen im Garten Eden nur ein einziges Gebot, welches gleichzeitig auch ein Verbot darstellte: „Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen …!“ (Gen 2,16-18).
Wir wissen, wie es danach weiter ging … Der Mensch musste das Paradies verlassen. Vorbei war es nun mit dem schönen Leben und der unbeschwerten Zeit, in der der Mensch ganz selbstverständlich und unbefangen Umgang mit Gott hatte. Außerhalb vom Garten Eden ist der Mensch der Vergänglichkeit ausgeliefert und wird täglich mit ihr konfrontiert.
Ich schaue mir erneut die Geschichte in der Genesis an: … Nachdem der Mensch von der Frucht isst, erkennt er, dass er nackt ist vor Gott, er erkennt, dass er bloßes Geschöpf ist und entwickelt Scham. Er versteckt sich vor Gott, und er erkennt den Unterschied zwischen dem, was dem Wesen Gottes entspricht, und dem, was dem Wesen Gottes entgegensteht!
In der Bibel heißt es: „Sie erkannten Gut und Böse!“ Vorbei war es mit dem unbeschwerten und sorglosen Leben. Was dem Menschen geblieben war, das war die Erinnerung an vergangene unbeschwerte Zeiten, und wie sehr wünscht sich der Mensch ins Paradies zurück, während er mühevoll den Alltag bewältigt, er sich kümmert und sorgt und versucht seinen Lebensunterhalt zu bestreiten … und das bis heute.
Der Karneval war eine willkommene Abwechslung zum Ende des Winters. Für ein paar Tage, ein paar Stunden den Sorgen des Alltags entfliehen, feiern, lachen, tanzen und unbeschwert sein, das hat manch einer während den letzten Tagen genossen. Am Aschermittwoch ist es aber vorbei. Runter mit den Masken, raus aus der Verkleidung, ungeschminkt zurück in den Alltag. …wir könnten doch so ein unbeschwertes Leben haben, wenn die ersten Menschen nur nicht diese Frucht gegessen hätten…
Ich hatte erst vor kurzem morgens nach den Laudes die entsprechende Passage in der Genesis gelesen und noch abends vor dem Einschlafen ging sie mir dauernd im Kopf herum. Ich fragte mich, warum es ausgerechnet ein Speiseverbot gewesen ist, warum etwas Essbares, was der Mensch nicht zu sich nehmen durfte? Immer wieder stellte ich mir die Frage, warum es beispielsweise kein Stein gewesen ist, den man nicht berühren oder betreten durfte, etwa einen „Stein“ der Erkenntnis?
Am nächsten Morgen kurz nach dem Aufwachen hatte sich das Thema verlagert und zwar vom Kopf in den Bauch, und genau dort vermutete ich auch meine Antwort. Die Erkenntnis von Gut und Böse, das hat etwas mit meinem Bauch zu tun. Im Bauch entwickelt sich das Gefühl. Es ist ein Bauchgefühl. Es entsteht eine Wechselwirkung zwischen Kopf und Bauch und beide bedingen einander.
Ganz klar, Gedanken, Gefühle und Emotionen spielen sich im Kopf ab. Ich kann mich an Situationen erinnern, in denen ich entweder überglücklich war, beispielsweise als ich verliebt war oder zutiefst traurig usw. Aber wie haben sich diese Gefühle bei mir bemerkbar gemacht? Waren die Schmetterlinge im Bauch oder im Kopf? Schlagen mir schlechte Nachrichten auf den Magen oder auf den Kopf? Aus diesen Alltagsbeobachtungen wird deutlich, dass in meinem Bauch Prozesse ablaufen, die mit meinem Gefühlshaushalt zusammenhängen.
Ist denn jetzt der Magen-Darm-Trakt lediglich von Signalen aus dem Kopf abhängig oder beeinflusst er möglicherweise sogar Prozesse in meinem Gehirn? Wir wissen heute, dass ein reger Austausch herrscht zwischen dem Nervensystem des Darms und dem sogenannten Vagus-Nerv.
Dieser ist der zehnte Gehirnnerv und die Verbindung zwischen Darm und Stammhirn, und was noch interessanter ist, dieser Nervus vagus ist für den Herzschlag verantwortlich.
Wie jetzt erst vor kurzem festgestellt wurde, erfolgt der Großteil der Informationsübertragung vom Nervensystem des Darms hin zum Gehirn und nicht umgekehrt, wie man zuvor vermutete. Die Forschung spricht hier inzwischen vom zweiten Gehirn. Im Hinblick auf die Entdeckung dieses sogenannten „zweiten Gehirns“ im Verdauungssystem, finde ich es äußerst interessant, dass es für Adam und Eva ein Speiseverbot gab.
Mir kommt der Gedanke, dass die Erkenntnis von Gut und Böse nicht nur im Gehirn meines Kopfes, sondern auch im Gehirn meines Bauches stattfindet, und ich beginne, mir ganz neue Gedanken über den Sinn und Zweck des Fastens zu machen.
Über viele Jahre hinweg dachte ich, dass das Fasten zunächst mal nur eine Praktik in der geistlichen Lebensführung eines Christen sei, nicht mehr – aber auch nicht weniger. Eigentlich betrachtete ich das Fasten lediglich als eine Art „Hilfsmotor“ für den Christen, ohne mir nähere Gedanken darüber zu machen (abgesehen von der Solidarität, die ich beim Fasten empfinde mit armen Menschen, die geistlich oder materiell nicht so reich begütert sind, wie ich es bin, und vielleicht auch ein wenig, um abzuspecken oder einfach mal weniger zu rauchen). Nun aber mache ich mir plötzlich Gedanken darüber, was das Fasten tatsächlich bewirkt und wie die Enthaltsamkeit wirk-lich wirkt!
Erneut lese ich die Passage in der Genesis … Dass der Mensch im Garten Eden keinesfalls von der Frucht dieses Baumes essen sollte, das hat Gott nicht gesagt, um klar zu machen, dass er es ist, der sagt wo´s lang geht. Gott wollte damit nicht „die Fronten abklären“. Gott hat nicht willkürlich ein Gebot verhängt! Dadurch dass Gott verboten hatte vom Baum der Erkenntnis zu essen, bewahrte er den Menschen davor, seine reine Herzenshaltung zu verlieren.
Infolge der menschlichen Schwäche und der daraus resultierenden Erkenntnis von Gut und Böse wurde das innige Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen nachhaltig gestört. Aber Gott hat seine Haltung zum Menschen dadurch nicht verändert, doch die Haltung des Menschen gegenüber Gott veränderte sich.
Äußerlich lässt mich das Fasten nach wie vor Solidarität empfinden mit Menschen, die nicht so umfänglich begütert sind wie ich, mit Menschen, die sich nicht jeden Tag satt essen können, die nicht in mitten einer intakten Infrastruktur leben, die sich nicht jeden Abend in ein warmes, frisch gemachtes Bett legen können. Aber innerlich verändert es meine Haltung gegenüber Gott. Das Fasten hilft mir, meine Herzenshaltung zu prüfen. Das Fasten führt mich ernsthaft auf den Weg der Nachfolge Christi. Ich bin gespannt, wie es sein wird. Jesus hat es uns vorgelebt, und ich will es ihm gleich tun, indem ich den Weg in und durch die „Wüste“ wähle.
… Fasten und Wüste, darum geht es dann auch in meinem Beitrag am kommenden ersten Fastensonntag, und ich bin gespannt, was mir bis dahin zum Thema noch so durch den Kopf und den Bauch geht.
Bis dahin, Euer Josef (Steffen Obl.OPR)