Als die Zeit erfüllt war

Wort zur Weihnacht von Bischof Roald Nikolai Flemestad

[Anbetung der Weisen: Menologion Basileios‘ II., 10. Jh.]

Im Advent 2020

Als aber die Erfüllung der Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn, der von einer Frau geboren und dem Gesetz unterworfen wurde.“ (Gal 4,4) Mit diesem kurzen, aber wesentlichen Satz fasst der heilige Apostel Paulus das Geheimnis der Inkarnation — der Menschwerdung Gottes — zusammen.

Bei diesem Zitat gilt es zunächst, die Vergangenheitsform zu bemerken (welche sich auch im griechischen Urtext des Neuen Testamentes findet). Der heilige Paulus betrachtet die Geburt Christi im Lichte einer Verheißung Gottes an das Volk Israel, die Jahrhunderte zuvor durch den Propheten Jesaja ergangen war: „Darum wird der Allherr selbst euch ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird guter Hoffnung werden und einen Sohn gebären, dem sie den Namen Immanuel geben wird.“ (Jes 7,14) Somit offenbart die Jungfrau Maria — durch die Geburt Jesu in Bethlehem — dies: dass Gott zur Erfüllung seines göttlichen Planes handelte, als Jahrhunderte später die Zeit dafür gekommen war. Ja, obschon es in einem Stall, von einer Frau aus einfachen Verhältnissen geboren wird, ist das Kind Jesus bereits Gottes Sohn. In ihm ist der göttliche Logos Mensch geworden! Unser Erretter teilt unser Menschsein (die conditio humana) und ist daher unser Bruder:  „So hat sich die Gnade Gottes und die Gnadengabe des einen Menschen Jesus Christus erst recht für die Vielen überreich erwiesen.“ (Röm 5,15)

Dies ist an und für sich schon eine erstaunliche Behauptung; hierdurch wird die Geburt Jesu zum Epizentrum der Weltgeschichte. Auf den ersten Blick mögen uns die Ereignisse, aus denen sich die Geschichte der Menschheit zusammensetzt, wie ein sinnloses Verfließen der Zeit erscheinen; jetzt aber bekommen wir gesagt, dass alles einen eigenen ihm innewohnenden Sinn hat. Denn auf geheimnisvolle Weise ist in alledem, was damals, heute und in Zukunft geschieht, auch die Geschichte unserer Erlösung verwoben: die Heilsgeschichte. Letztlich hält Gott das Schicksal der ganzen Welt in seinen Händen.

Die weltumfassende Bedeutsamkeit der Geburt Jesu kommt in der Geschichte von den Weisen aus dem Osten zum Ausdruck, die den Weg nach Bethlehem beschritten, um dem Jesuskind in der Krippe Tribut zu zollen; sie „warfen sich vor ihm nieder und beteten ihn an; alsdann taten sie ihre Schatzbeutel auf und brachten ihm Geschenke dar: Gold, Weihrauch und Myrrhe.“ (Mt 2,11)  

Ebenso lautet die Botschaft an uns am Christfest, dass wir unser Herz für Jesus auftun und ihn anbeten sollen, indem wir ihm uns selbst als Geschenk und Gabe darbringen. So können wir trotz all des Sonderbaren und Verdrießlichen, das sich rings um uns ereignet, mit Zuversicht unseren eigenen Platz in der Heilsgeschichte einnehmen.

Gesegnete Weihnachten!

+ Roald Nikolai

Dr. Roald Nikolai Flemestad (Oslo) ist Bischof der Nordisch-katholischen Kirche.

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