Katechetische Notizen zur orthodox-altkatholischen Lehre, II/1–2 (Christologie)

[Christus mit Abba Mina: koptische Ikone, 8. Jahrhundert]

Mit herzlichen Segenswünschen für das Jahr 2021 an alle Leserinnen und Leser dokumentieren wir hier weitere Notizen zur Katechesenreihe (von F. Irenäus Herzberg) über das orthodox-altkatholische Konsensdokument Koinonia auf altkirchlicher Basis (Hrsg. Urs von Arx; Sonderheft zu IKZ 79/4, 1989). 

Bisher erschienen in der Reihe die folgenden Teile: 

II Christologie

II/1 Die Menschwerdung des Wortes Gottes

(1.) Wie ist Gott (der Sohn) Mensch geworden?

  • Der einzige Sohn Gottes, der zugleich das einzige Wort Gottes ist, wurde ein Mensch, indem Er „zu unserem Heil herabgestiegen ist vom Himmel und Fleisch geworden vom Heiligen Geist aus Maria, der Jungfrau“ (Nizänum).
  • Der ewige und zeitlose Gott trat also als ein Mensch, nämlich Jesus Christus, in die Geschichte ein.
  • Es war Gottes Absicht, „das Menschengeschlecht wieder zu einen, in sich als seinem Haupt“ (Kyrill von Alexandrien, PG 76,17).

Ist „Gott-sein“ und „Mensch-sein“ ein Widerspruch?

Nein, denn Jesus Christus ist sowohl vollkommener Gott als auch vollkommener Mensch:

  • Ihm eignet alles, was auch der Vater hat; ausgenommen ist nur die hypostatische Eigenschaft des Ungezeugtseins.
  • Zugleich ist Jesus Christus ein Mensch mit Leib und Seele so wie wir.

Was unterscheidet Jesus Christus von den übrigen Menschen?

Seine Sündlosigkeit [vgl. Hebr 4,15] und seine übernatürliche Geburt:

  • Seine Fleischwerdung geschah durch den Heiligen Geist aus der Jungfrau Maria.
  • Er war von der Erbsünde und jeder persönlichen Sünde frei.

(2.) Wie verhalten sich göttliche und menschliche Natur Jesu Christi zu einander?

Auf der Grundlage der Heiligen Schrift und der heiligen Überlieferung lehrt die Kirche: Göttliche und menschliche Natur sind auf hypostatische, personale Weise vereinigt worden, nämlich in der Hypostase oder Person Gottes des Wortes. Von dieser Vereinigung lehrt das Vierte Ökumenische Konzil, dass sie „ungeschieden, ungetrennt, unvermischt und unverändert“ ist. [Diese Beschreibung, die mit der Methode negativer (apophatischer) Theologie gewonnen wurde, zeigt in ihrer paradoxen Spannung die Grenzen menschlichen Verstehens des Heilsgeheimnisses, wird aber unten näher expliziert.]

Wie lässt sich die Vereinigung der Naturen in Jesus Christus näher beschreiben?

  • Jesus Christus ist Gottmensch. Die Kirche lehrt, dass er eine göttliche Person in zwei Naturen ist, mit zwei Willen und Wirkweisen (energeiai).
  • Dies ist jedoch so zu verstehen, dass die Wirkweisen selbst gottmenschlich sind, da eine wechselseitige Durchdringung und Einwohnung [Perichoresis] der Naturen, Willen und Wirkweisen stattfindet. Christus „wirkte nämlich weder das Menschliche [bloß] auf menschliche Weise, er war ja nicht bloßer Mensch, noch das Göttliche bloß auf göttliche, er war kein bloßer Gott, sondern Gott und Mensch zugleich.“ (Johannes von Damaskus, de fide orthodoxa, PG 94, 1060 = BKV 1. Reihe Bd. 44 [München 1923], 173)

(3.) Welche Folge hat die hypostatische Vereinigung der beiden Naturen für die heilige Dreifaltigkeit?

Zweierlei:

  1. Zwar hat sich in Christus die ganze göttliche Natur mit der menschlichen vereinigt. Dennoch wurde nicht die ganze heilige Dreifaltigkeit Mensch, sondern nur die zweite Person.
  2. Die Menschwerdung hat keinen Wandel und keine Veränderung in Gott selbst gezeigt; dieser ist unwandelbar und unveränderlich.

(4.) Welche Folgen hat die hypostatische Vereinigung für die Person Jesu Christi?

  1. Die wechselseitige Durchdringung und Einwohnung bedingt auf Grund der Einheit der Person Jesus Christus eine wechselseitige Mitteilung der Eigentümlichkeiten [communicatio idiomatum] der göttlichen und der menschlichen Natur.
  2. Auch die menschliche Natur Christi wird vergottet (theosis), obgleich sie „in der ihr eigenen Grenze und ihrer Art“ (Sechstes Ökumenisches Konzil, Konstantinopel 680/1) verbleibt.
  3. Christus ist sündlos.
  4. Christus kann auch seiner menschlichen Natur nach angebetet werden, denn die Anbetung gilt der Person des Herrn, welche gottmenschlich ist.
  5. Der Herr, den die heilige Jungfrau Maria geboren hat, ist eine einzige gottmenschliche Person; folglich ist sie wahrhaft Gottesgebärerin und in diesem Sinne auch Gottesmutter.

(5.) Kann man die Inkarnation umfassend mit dem Verstand begreifen?

Nein: Die Menschwerdung des ewigen Wortes Gottes ist ein unbegreifliches Geheimnis. Sie ist zudem ein Akt unfassbarer göttlicher Liebe. Die menschliche Antwort darauf muss zuvörderst in gläubigem Vertrauen bestehen.

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II/2 Die hypostatische Union

Was meint die hypostatische Union?

Die hypostatische Vereinigung meint die Vereinigung der zwei Naturen, nämlich der göttlichen und der menschlichen, in der einen Person (oder Hypostase) Jesus Christus.

(1.) Wann ist es zur hypostatischen Union gekommen, wer oder was genau wurde dabei vereinigt?

  • Durch die Hypostase (oder Person) Gottes des Wortes – im Unterschied zu Gott dem Vater und dem Heiligen Geist – vereinigte sich die göttliche Natur mit der menschlichen.
  • Diese Vereinigung fand nicht mit dem ganzen Menschengeschlecht statt, sondern mit einer individuellen und vollständigen menschlichen Natur.
  • Diese individuelle menschliche Natur hatte jedoch keine Existenz außerhalb der Person Jesu Christi. Vielmehr trat diese menschliche Natur erst in dem Moment ins Dasein, als die Fleischwerdung Gottes des Wortes geschah, nämlich durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria.
  • Ab diesem Moment war diese individuelle menschliche Natur auch zugleich mit der göttlichen Natur in der Hypostase oder Person Gottes des Wortes vereinigt. Die individuelle menschliche Natur, die Gott das Wort angenommen hat, hatte nie eine andere Hypostase als die des Gottmenschen Jesus Christus.

(2.) Darf man sich die hypostatische Union als Vermischung der Naturen vorstellen?

  • Nein. Man spricht deshalb auch von einer Hypostase „in zwei Naturen“ und nicht „aus zwei Naturen“, da es sich nicht um eine Vermischung der Naturen handelt. Vielmehr bleibt die Eigentümlichkeit der beiden Naturen auch nach ihrer Vereinigung gewahrt.
  • Die Vereinigung fand im Augenblick der Empfängnis durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria statt, wobei es weder zu einer Vermischung noch zu einer Trennung der Naturen kam. Die Vereinigung ist in Ewigkeit unauflöslich: „Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit“ (Hebr 13,8)

(3.) Hatte Jesus Christus nur einen Willen oder gar einen geteilten Willen?

  • Nein: Beide Naturen wollen und wirken jeweils auf eigene Weise das ihrer Art entsprechende.
  • Jesus Christus hat sowohl einen menschlichen als auch einen göttlichen Willen, eine menschliche und eine göttliche Wirkungsweise (energeia), ferner auch menschliches und göttliches Wissen.
  • Allerdings folgt der schwache menschliche Wille dem starken göttlichen Willen durch Unterordnung. Das Wollen und Wirken der menschlichen Natur findet in Gemeinschaft mit der göttlichen Natur statt. Ja: Das Wollen und Wirken beider Naturen geschieht stets „in Einheit … zum Heil des Menschengeschlechts zusammenwirkend “ (Sechstes Ökumenisches Konzil, Konstantinopel 680/1).

War der menschliche Wille Jesu Christi also aufgehoben?

  • Nein, „der vergottete menschliche Wille wurde nicht aufgehoben, sondern blieb vielmehr bestehen“ (ebd.).
  • Das Wollen und Wirken der beiden Naturen geschieht in der je eigenen (göttlichen oder menschlichen) Weise, gleichwohl stets in Gemeinschaft mit der jeweils anderen Natur.
  • [So erklärt sich auch die Lehre des heiligen Kyrill von Alexandrien, wonach es „nur eine fleischgewordene Natur des Wortes Gottes“ (mia physis tou theou logou sesarkomenè) gibt und die beiden Naturen nur gedanklich, d.h. in der „Theorie“ bzw. der menschlichen Vorstellung (tè theoría mónè), zu unterscheiden sind. Auf dieser Basis wurde zwischen den chalcedonensisch-orthodoxen und den orientalisch-orthodoxen Kirchen 1990 in Chambésy/Genf ein christologischer Lehrkonsens erreicht.]

Fortsetzung folgt: II/3 Die Gottesmutter (Mariologie)