Eine geistliche „Bestandsaufnahme“
Eine ausgeprägte Marienfrömmigkeit ist im Altkatholizismus bekanntlich nicht überall zu finden. In einigen Regionen gibt es sie durchaus und auch sehr hingebungsvoll — gerade auch in der Polnisch-katholischen Nationalkirche Nordamerikas, mit der wir durch die Union von Scranton verbunden sind. Andernorts herrscht dagegen unter Altkatholiken große Zurückhaltung bei der Verehrung der Gottesmutter — sicher auch unter dem Eindruck ungesunder Übertreibungen wie der Forderung nach einem Corredemptrix-Dogma (Maria als „Miterlöserin“) durch gewisse römisch-katholische Kreise.
Derartige Auswüchse können aber natürlich kein Grund sein, eine gesunde, christologisch fundierte Verehrung der Gottesmutter zu vermeiden. Das Folgende ist der bescheidene Versuch einer ersten Annäherung an das Festgeheimnis der Entschlafung der Gottesmutter im Rahmen klassischer altkatholischer Theologie.
Verbindliche Lehraussagen
Der Heimgang (bzw. die Entschlafung) der heiligen Maria wird weder durch die Entscheide der Ökumenischen Konzilien noch durch den mariologischen Abschnitt des orthodox-altkatholischen Konsensdokuments (Koinonia auf altkirchlicher Basis, II/3 = IKZ 79, Beiheft zu Nr. 4, 56–58) definiert — geschweige denn durch die Utrechter Erklärung. Gelehrt wird dort lediglich, dass die Gottesmutter in sichtbarer Seligkeit in die Ewigkeit eingegangen ist.
Die Erklärung von Scranton allerdings bekräftigt, dass es katholische Lehre ist (wenngleich nicht auf der Ebene eines Dogmas), die heilige Jungfrau Maria sei am Ende ihres irdischen Lebens leiblich in den Himmel aufgenommen worden. (Der Kommentar zur Erklärung präzisiert: mit Leib und Seele.) Aber wie genau dies geschehen ist, wird offen gelassen – z.B. ob sie gestorben ist und ob ihre Seele am dritten Tage in den Körper zurückgekehrt ist, damit sie auferweckt in den Himmel eingehe. (Dies suggeriert die byzantinische Liturgie; altkirchliche Schriften zum Transitus Sanctae Mariae widersprechen sich: das Decretum Gelasianum kennt wohl nur eine und verwirft sie, PG 59,163C.)
Ansatzpunkte in Schrift und Tradition
Keines von beidem — weder die Auferweckung noch die leibliche Aufnahme in den Himmel — ist theologisch beweisbar, beides aber ist sehr plausibel. Denn Jesus hat ja das (auf Seine eigene Auferstehung verweisende) Wunder der Auferweckung auch an einer weiteren Ihm nahe stehenden Person vollbracht, nämlich an Lazarus (Joh 11,5.36.43). Und selbst die leibliche Aufnahme in den Himmel wurde noch anderen herausragenden Heiligen bzw. Gerechten zuteil: Henoch „ging mit Gott, dann war er nicht mehr da; denn Gott hatte ihn aufgenommen“ (Gen 5,24), ähnlich Elija (2 Kön 2,11).
Die sehr stark ausgeschmückten Legenden zur Entschlafung der Gottesgebärerin (Urtext-Ausgabe bei C. v. Tischendorf (Hrsg.): Apocalypses apocryphae, Leipzig 1866, 95–136) — die unter anderem eine gemeinsame Wolkenreise der Apostel zur Todesstunde der Gottesgebärerin vorsehen — sind nicht in die Textgestalt der byzantinischen Liturgie eingegangen, wohl aber in ihre Ikonographie. Ein ergreifendes — und im Unterschied zu manch anderem auch plausibles — Detail der Dormitio-Legenden ist die eingangs berichtete schwere Sehnsucht der heiligen Maria nach ihrem Sohn seit Seiner Himmelfahrt.
Eine Mittelposition zwischen westlicher Nüchternheit (vgl. die Ablehnung der Transitus-Legenden im Decretum Gelasianum) und byzantinischer legendarischer Ausschmückung nimmt interessanterweise das koptische Synaxarium ein (das Buch der in der Liturgie zu verlesenden Heiligenlegenden). Im koptisch-orthodoxen Patriarchat von Alexandria wird, wie einst in Gallien auch, das Fest der Entschlafung der Gottesmutter Ende Januar gefeiert (Synaxarium, 21. Tuba); dabei wird so wie in der byzantinischen Orthodoxie auch der besonderen Rolle des Apostels Thomas gedacht. Die Aufnahme in den Himmel hingegen begeht man als davon unterschiedenes Ereignis Mitte August und gedenkt hierbei eines Erscheinens der Gottesmutter zur Rechten ihres göttlichen Sohnes (Synaxarium, 16. Misra) in Gegenwart aller Apostel.
Die Entschlafung, ein österliches Geheimnis
Insofern handelt es sich beim Fest der Dormitio oder Assumptio Sanctae Mariae — im Unterschied zu anderen, eher weihnachtlich geprägten, die Menschwerdung Gottes vertiefenden Festen der Gottesmutter — um ein zutiefst österliches, die Auferstehung Christi entfaltendes Fest. Das selige Entschlafen der heiligen Maria und ihre Aufnahme in den Himmel sollen uns verdeutlichen, welche Macht die Auferstehung Christi an einem Menschen, der Ihm fest verbunden ist, entfalten wird. Alle Erzählungen von der Aufnahme der Gottesmutter in den Himmel lehren zugleich, dass sie allein durch das Eingreifen ihres gepriesenen Sohnes aus dem Tod befreit wird und zur ewigen Seligkeit gelangt.
Die allheilige Maria (Panagia) wird zuweilen als zweite Eva angesehen, als Mutter des Gottesvolkes — insofern sie ja insbesondere den Leib Christi zur Welt gebracht und genährt hat. Ihre Mutterschaft ist für den einzelnen Christen natürlich nicht so direkt und augenfällig wie die Mutterschaft der Kirche mit ihrer sakramentalen Zuwendung. Dafür aber kann es sich in geheimnisvoller Weise um eine persönlichere Mutterschaft handeln, insofern ihr jeder am Herzen liegt, der mit ihrem Sohn verbunden ist. Und so dürfen wir uns mit ihr in Ausgelassenheit über ihren Eingang in den Himmel freuen. Wir dürfen dabei auch ihrer Fürbitte und ihres Vorbilds eingedenk sein. Und bei alledem dürfen wir ihren göttlichen Sohn preisen, nachdem sie sich so sehr gesehnt hat, denn Er ist das Leben (Joh 14,6) und hat „jenen in den Gräbern das Leben geschenkt“ (Ostertroparion).
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Oration
(aus dem Formular zur Kräutersegnung zu Mariä Entschlafung)
O Gott! Wir feiern diesen Tag, da die Mutter Deines hochgeliebten Sohnes verstorben, aber unbesiegt vom Tod in den Himmel aufgenommen worden ist. Daher bitten wir Dich: Lass diese Feier uns zum Heil gereichen. Sei mit uns, dass wir dem Herrn Jesus Christus treu sind bis in den Tod – und auf diese Weise ebenfalls die Krone des Lebens erlangen. Durch denselben Jesus Christus, unsern Herrn, der mit Dir und dem Heiligen Geist, ein einiger Gott, lebt und herrscht, jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen.
Lied
(nach dem Konstanzer Gesangbuch, 1600)
Freu dich du Himmelskönigin, / freu dich, Maria!
freu dich, das Leid ist all dahin. Halleluja!
Bitt‘ Gott für uns, Maria.
Den du zu tragen würdig warst, / freu dich, Maria!
der Heiland lebt, den du gebarst. / Halleluja!
Bitt‘ Gott für uns, Maria.
Bitt‘ Gott für uns, so wird’s geschehn, / freu dich, Maria!
dass wir mit Christus aufersteh’n. / Halleluja!
Bitt‘ Gott für uns, Maria.