Mariä Geburt 2020

Einsichten des byzantinischen Ritus

Geburt der Gottesgebärerin: Kloster Studenica, 12. Jh.
[Foto Mihailo Maletic CC-BY NC SA]

Deine Geburt, Gottesgebärerin, hat dem ganzen Erdkreis Freude beschert.

aus dem Tropar zum Fest der allheiligen Gottesgebärerin

Rückblick auf das Fest der Entschlafung

Das größte aller Feste der Gottesgebärerin ist noch nicht allzu lange vergangen. Am 15. August gedenken wir ihres Todes und ihres Einzuges in den Himmel. Das Fest hat Öffentlichkeitscharakter. Alle Apostel kommen zusammen, um die Allheilige zu bestatten. Das Exapostilarion im Morgenamt erinnert uns daran, wenn es dreimal gesungen wird: „Apostel, von den Enden der Erde hier zusammengekommen, im Flecken Gethsemani, beerdigt meinen Leib; und du mein Sohn und Gott empfange meinen Geist.“ Auch in den Zwischentexten der Makarismen (Seligpreisungen) der eucharistischen Liturgie zum 15. August singen wir: „Die Schar der Theologen eilte herbei von den Enden und aus der Höhe die Menge der Engel zum Sion auf den Wink des Allgewaltigen, um bei deinem Begräbnis, Gebieterin, würdig zu dienen.“ Ein Leichenzug zieht vom Christenviertel des Sion nach Gethsemani, um die Mutter Gottes zu beerdigen. Bis heute wird dort ihr Grab verehrt. Neben den Griechen besitzen auch die Armenier in der unterirdischen Kirche Altäre. Die Franziskaner verloren diese vor Jahrhunderten. Die Festfeier des 15. August halten sie aber bis heute in Gethsemani in der modernen Todesangst-Christi-Basilika („Kirche aller Nationen“).

Zum Datum des Festes

Ein anderes Gebäude hat mit dem Fest des 8.September zu tun. Es ist das Haus der heiligen und gerechten Gottesahnen Joachim und Anna. In ihm wird Maria geboren. Im August und September sehen wir das Sternbild der Jungfrau am Himmel leuchten. Ein Stern kündet die Geburt Jesu an und führt die Weisen zur Krippe. Jetzt leuchten die Sterne, denn „die Jungfrau“ wird geboren. Wir begehen ihr Geburtsfest, weil sie uns Christus geboren hat. Das Fest Maria Geburt steht in Zusammenhang mit dem Fest Christi Geburt. Das neue Kirchenjahr beginnt in Byzanz am 1. September. Eine Woche später, am Oktavtag, wird die Annenkirche unter dem Titel Maria Geburt geweiht. Der 8. September ist die Kirchweih der Annenkirche in Jerusalem, während der 15. August die Kirchweih des Kathismaklosters war. Das Sternbild der Jungfrau und der Beginn des neuen Jahres gaben das Datum. Die heutige Annenkirche ist ein Kreuzfahrerbau und gilt als die Kirche mit der besten Akustik unter den Kirchen Jerusalems.

Das Jakobusevangelium

Joachim und Anna, die Eltern der Allheiligen, waren verzweifelt. Sie waren kinderlos und dies galt als Strafe Gottes. Joachims Opfergabe im Tempel wird verweigert. Er flieht in die Wüste. Sie hörten nicht auf, zu Gott zu flehen. Das Protoevangelium des Jakobus berichtet uns darüber. Es scheint, dass es gerade in Jerusalem doch eine gewisse Verehrung und Bedeutung hatte:

„…dort schlug er (Joachim) sein Zelt auf und fastete vierzig Tage und vierzig Nächte; und er sagte bei sich: „Ich werde nicht hinuntergehen, weder um Speise, noch um Trank, bis Gott, mein Herr, mich heimgesucht hat; das Gebet soll mir Speise und Trank sein.“ Und Anna betet: „O Gott unserer Väter, segne mich und erhöre meine Bitte, wie du den Mutterleib Saras gesegnet und ihr einen Sohn, den Isaak, geschenkt hast.“ Beide haben dann Engelserscheinungen. Ihnen wird versichert, ihr Gebet ist erhört. Sie begegnen einander an der Goldenen Pforte des Tempels. Als die Monate erfüllt sind gebiert Anna Maria.

Zur Liturgie des Festes

In Jerusalem wurde das Fest wohl schon im 5. Jahrhundert begangen. In Rom wurde es um 700 unter Sergius I. eingeführt. Die älteste Hymnendichtung, die uns überliefert ist, stammt von Romanos dem Meloden (5./6. Jahrhundert). Er greift das Jakobusevangelium auf und dichtet einen Hymnus von 12 Strophen zum Fest. Eine jede Strophe endet mit dem Ruf: „Die Unfruchtbare gebiert die Gottesgebärerin, unseres Lebens Nährerin.“ Das Prooimion dieser Dichtung bildet bis heute im byzantinischen Ritus das Kontakion des Festes. Das Festtropar „Deine Geburt Gottesgebärerin hat dem ganzen Erdkreis Freude beschert“ ist über alle Reformen hinweg als Antiphon auch im römischen Stundengebet im Morgengebet erhalten und somit in beiden Riten ein gemeinsamer Gesang des Tages. Den Grund der Freude finden wir im nächsten Satz. Aus Maria ging uns die Sonne der Gerechtigkeit auf, Christus unser Gott. Mit dem Entstehen der Feste nach dem Kalendertag und der Einführung des Festes Christi Geburt wurde auch das Geburtsfest der Gottesmutter in den Kalender aufgenommen. Es geht um die Menschwerdung des Gottessohnes. Er ist Mensch geworden und hat sein Menschsein von dem Menschen Maria genommen. Der jüdische Religionswissenschaftler Pinchas Lapide (1922–1977) sagte deshalb „Gott ist Jude geworden“. Im römischen Ritus wurde früher stets an Maria Geburt der Stammbaum Jesu Christi nach dem Matthäusevangelium gelesen. Heute begnügt man sich meist mit den anschließenden Versen „Mit der Geburt Jesu Christi war es so.“ Schöner als durch den langen Stammbaum kann man wohl kaum auf die Menschwerdung Gottes verweisen. Unser Gott kam zu uns, „allen Fluch von uns zu nehmen und Segen zu spenden. Er zerstört den Tod und schenkt uns ewiges Leben“ (aus dem Fest-Tropar).

Grund des Festes

Der heilige Andreas von Kreta gibt den Grund des Festes an: „Dieses so strahlend aufscheinende Wohnen Gottes bei den Menschen musste der Freude Eingang verschaffen, weil uns hier das große Geschenk des Heiles zuteil wird. Das meint das heutige Fest, dessen Anlass die Geburt der Gottesmutter ist, dessen Ziel und Ende jedoch die Vereinigung des Wortes mit dem Fleisch ist.“

Romanos der Melode betonte, dass die unfruchtbare Anna unseres Lebens Nährerin gebiert. Gott lässt neues Leben entstehen, wo es nicht mehr zu erwarten ist. Wo alles verloren und vergeblich scheint, weckt Gott das Leben. Dies gilt nicht nur für Joachim und Anna. Dies gilt auch für uns, für unser Leben. Aus Unfruchtbarkeit wächst reiche Frucht, wenn Gott an uns handelt. Das Geburtsfest der Allheiligen will unseren Glauben daran stärken. Maria nährt uns mit dem Wort Gottes, denn „das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Sie gebiert uns Christus, „den Menschenliebenden“, „der das Fremde zum Freund macht und für die Verirrten das Heil wirkt“ (aus den Stichera zur Großen Vesper). Ihre Festfeier schenkt uns Freude und Frieden. „Maria ist uns zum Himmel geworden, da sie Gott trägt“ (Ephräm der Syrer, + 373).

Da.