„Vor Deinem Kreuze, o Herrscher, werfen wir uns nieder …“

Kreuzigung unseres Herrn Jesus Christus: Meister der Schule von Nowgorod, ca. 1360

Ein Beitrag zum Hochfest Kreuzerhöhung

1. Vom Hauptfest des capitolinischen Jupiters in Rom zum Fest Kreuzerhöhung in Jerusalem

Fragen wir uns, warum das Fest „Kreuzerhöhung“ gerade auf den 14. September fällt, so müssen wir zuerst auf das vorchristliche Hauptfest des capitolinischen Jupiters schauen. Denn am 13. September war ein hoher Feiertag für den höchsten Gott in Rom. Diesen altehrwürdigen Festtag zu Ehren des größten und besten Gottes wollte Konstantin der Große erhalten. Er legte deshalb fest, dass die Einweihung der Grabeskirche am 13. September zu erfolgen hätte. Diese fand statt im Jahr 335. Wir müssen freilich bedenken, dass es sich um zwei große Kirchen handelte. Die eine stand auf Golgatha. Die andere überdeckte das Grab des Herrn. Beide wurden gemeinsam geweiht. Bereits die Pilgerin Egeria berichtet uns gegen Ende des vierten Jahrhunderts über die Kirchweihfeierlichkeiten, wie sie jährlich in Jerusalem begangen werden: Ca. 40–50 Bischöfe sind versammelt. Die Kirchen sind geschmückt wie zu Epiphanie und Ostern. Eine Festoktav mit täglichen Prozessionen wird abgehalten. Viele Pilger kommen aus verschiedenen Ländern.

Berühmt ist die Teilnahme der öffentlichen Sünderin Maria von Ägypten. Aus Neugierde will sie wissen, was die Gläubigen nach Jerusalem führt. Nach anfänglichen Schwierigkeiten bekehrt sie sich und lebt fortan in der Wüste. Der heilige Zosimas aus dem Gerasimuskloster brachte ihr jedes Jahr zum Fest der Auferstehung das Abendmahl.

Bis heute kommen Pilger aus Ägypten zum Kirchweihfest der Grabeskirche, die nach dem julianischem Kalender am 27. September gefeiert wird. Wenn Ende September die Anastasis nach Basilikum duftet, das Ostertroparion „Christ ist erstanden“ erklingt und der Allerseligste, der Patriarch von Jerusalem, hinunter in die Helenakapelle zieht, dann ist die Kirchweih der Grabeskirche, bzw. es wird deren zweiter Feiertag begangen, das Fest „Kreuzerhöhung“. Im Rahmen der Festwoche war es üblich, dass am zweiten Feiertag das Kreuzesholz zur Verehrung gereicht wurde. Aus diesem Brauch entwickelte sich das Fest Kreuzerhöhung. Egeria gibt als Grund für das große Fest die Auffindung des heiligen Kreuzes an.

2. Das lebenspendende Kreuz Deiner Güte

Mit der Anrufung „Das lebenspendende Kreuz Deiner Güte, das Du uns Unwürdigen gewährt hast, o Herr, bringen wir Dir herbei in Verehrung …“ beginnt das Troparion am Vorabend des 14. September im Ritus von Byzanz. Das Kreuz kann zur Verehrung gezeigt werden, da die heilige Helena, die Mutter Kaiser Konstantins, es gefunden hat. Die Legende berichtet, dass Kranken verschiedene Hölzer aufgelegt wurden. Wenn eine Heilung erfolgte, war gesichert, dass es sich um das Kreuz des Erlösers, um das Kreuz Jesu Christi, handelte.

Konstantin und Helena: altrussisches Relief, 13. Jh.

Das Fest Kreuzerhöhung ist also eine Erinnerung an die Auffindung des heiligen Kreuzes durch Kaiserin Helena. Es ist auch Gedächtnis der Rückeroberung der Kreuzesreliquie durch Kaiser Heraklion am 3. Mai 628. Der Perserkönig Chosroes hatte das Reliquiar an sich genommen. Seine Frau war ostsyrische (nestorianische) Christin. Ihr wollte er es zum Geschenk machen. Kaiser Heraklion verwandte die ganze Schaffenskraft seiner Amtszeit darauf, das Kreuz zurückzuerobern. Wahrscheinlich um 628 brachte er es zunächst nach Konstantinopel und im März 630 nach Jerusalem. Wieder konnte das heilige Kreuz zur Verehrung gezeigt werden. Es war die Regierungszeit des Patriarchen Sophronius. 637 fiel Jerusalem in die Hände des Islam, nachdem das kaiserliche byzantinische Heer abgezogen war. Patriarch Sophronius hatte die Verteidigung der Stadt auf das Beste organisiert. Doch nach der Flucht des Heeres übergab er in aussichtsloser Situation die Stadt. Er führte die Verhandlungen. Unter ungeklärten Umständen kam er ums Leben, vielleicht, weil er Soldaten ermunterte nicht zum Islam überzutreten.

Kaiser Konstantin hatte im Traum das Kreuzzeichen gesehen. Nach Eusebius von Caesarea erschien ihm im Sonnenlicht das Kreuz mit der Inschrift En touto nika, in diesem (Zeichen) siegst du! Er hat seinen Sieg an der Milvischen Brücke oder bei Saxa Rubra im Oktober 312 dieser Erscheinung zugeschrieben. Auch dieser Aspekt ist Teil des Kreuzgedächtnisses. Später ließ Konstantin einen seiner Söhne töten: Crispus wurde durch seinen Vater Konstantin ermordet, da er ihn als Regierungskonkurrenten fürchtete. Seine Frau teilte sein Schicksal. Er war der Lieblingsenkel der Kaiserin Helena. Angesichts dieses schweren Leides macht sie sich auf die Suche nach dem Kreuz des Herrn. Das ist die Botschaft der Kreuzauffindungslegende. Nach dem Vorbild der heiligen Helena suchen wir in unserem Kreuz das Kreuz Christi. Im Leid und in der Not unseres Lebens finden wir Hilfe, Heil und Rettung, wenn wir auf das Kreuz Christi schauen.

Die alte Kirche hat das Kreuz stets als Siegeszeichen gesehen und das gemmengeschmückte Siegeskreuz bevorzugt. Es ist Hinweis auf den, der am Holz den Tod besiegt hat. „Im Tode bezwang er den Tod“, heißt es im Ostertroparion. Das Kreuz Christi steht für das Leben, für das ewige Leben. Das Fest Kreuzerhöhung entwickelte sich aus der Kirchweihe der Grabeskirche und der Auffindung des Kreuzesholzes. Letztlich ist es aber doch Hinweis auf den am Kreuz gestorbenen König, der durch den Tod ging und auferstanden ist. Sehr schön kommt der Zusammenhang von Kreuz und Leben im Hymnus „Christi Auferstehung haben wir geschaut“ zum Ausdruck. Er wird in der byzantinischen Osternacht und nach Verkündigung des sonntäglichen Auferstehungsevangeliums in der Nachtwache gesungen. „Vor Deinem Kreuze fallen wir nieder, o Christus, und Deine heilige Auferstehung besingen und preisen wir … Denn siehe durch das Kreuz kam Freude in alle Welt … Denn das Kreuz hat er erduldet um unseretwillen und durch den Tod vernichtet den Tod.“

3. „Wir aber müssen uns rühmen im Kreuze…“

Mit den Worten „Wir aber müssen uns rühmen im Kreuze unseres Herrn Jesus Christus; in Ihm ist für uns das Heil, das Leben und die Auferstehung“ (nach Gal 6,14) beginnt der Introitus der römischen Messe zum Fest Kreuzerhöhung. In Rom wurde das Fest ab dem 7. Jahrhundert übernommen. Wohl aus gallikanischer Tradition kam das Kreuzfest am 3. Mai in den römischen Kalender. Es erinnerte an die Kreuzauffindung durch Helena. Für den 14. September war der Sieg über die Perser der Ausgangspunkt. Als Doppelung wurde das Gedächtnis am 3. Mai in der Liturgiereform gestrichen. Im Kalender der nordisch-katholischen Kirche ist es auch heute zu finden. In Rom hat das Fest Kreuzerhöhung nie die Bedeutung wie in Byzanz erlangt. Es gibt den Titel, bisweilen auch von Wallfahrtskapellen. Zum Beispiel wird das Fest in der Abtei Chevetogne festlich als Patrozinium gefeiert, freilich im byzantinischen Ritus. In Byzanz ist es Festtag und strenger Fasttag. Es zählt zu den zwölf Hochfesten. Das in der eucharistischen Liturgie ansonsten übliche Trishagion wird durch den Ruf „Vor Deinem Kreuze, o Herrscher, werfen wir uns nieder und Deine heilige Auferstehung preisen wir“ ersetzt. Besonders eindrucksvoll ist die pankosmische Kreuzerhöhungszeremonie. Ein mit Blumen reichgeschmücktes Kreuz wird in alle vier Himmelsrichtungen erhoben und unter dem Gesang von 40 Kyrie eleison langsam bis auf den Boden gesenkt. Die Erhöhung des Gottessohnes ist seine Erniedrigung. Die Väter lehren, Gott konnte nicht mehr wachsen, nicht mehr größer werden. Größer als Gott geht nicht. Allein in seiner Menschwerdung, in seiner Erniedrigung, in seinem Tod am Kreuz (vgl. den Philipperhymnus Phil 2,6–11) konnte seine Größe noch gemehrt werden.

So ist das Kreuz Zeichen des Lebens des Lebens, das der Lebensspender Christus gewährt. Es wird gerettet, wer zu ihm aufschaut. „Darum wollen wir zu ihm aufschauen, um von den Bissen der Sünde geheilt zu werden“, schreibt Augustinus in seinem Johanneskommentar. Vorbild ist die von Moses erhöhte Schlange in der Wüste. (Vgl. Num 21,6f.)

Das Kreuz ist augenfälliges Zeichen der Liebe Gottes und jede große Liebe ist deshalb stets gekreuzigte Liebe sagt Paul Ewdokimow. Romanos der Melode dichtet: „Das Kreuzesholz bringt uns an jedem Tag und zu jeder Zeit unermesslichen Reichtum, denn es führt uns alle erneut ins Paradies.“

So möge uns die Liebe des Gekreuzigten zuteil werden, wenn wir gleich Maria von Ägypten und der heilige Helena auf das kostbare und lebenspendende Kreuz schauen. Christi Licht, das einst Konstantin ergriffen hat und das allen leuchtet, leuchte auch uns in diesen schweren Zeiten der Pandemie, vor allem, wenn wir die Weihe des Hauses der Auferstehung und das Kreuzfest begehen. „Rette uns o Kreuz, durch Deine Macht, heilige uns durch Deinen Glanz, Du kostbares Kreuz und gib uns Kraft durch Deine Erhöhung. Denn als Licht wurdest Du uns gegeben und als Rettung unserer Seelen.“

Weihe der Anastasis 2021

Joachim Danz,
Dipl.-Theol. (Univ.)